In Danny Boyles neuem Film kann sich plötzlich nur noch ein junger Musiker als einziger Mensch auf der Welt an die Beatles und ihre Musik erinnern. Leider konnte sich der Drehbuchautor des Films nicht mehr an seine eigenen Filme erinnern.
When I find myself in times of trouble …
Der Musiker Jack hält sich mit miesen Jobs über Wasser. Seine Musik will niemand hören. Nur seine beste Freundin Ellie hält tapfer zu ihm. Nachdem Jack von einem Auto angefahren wurde, ist er plötzlich der einzige Mensch weltweit der sich noch an die Beatles und ihre Songs erinnern kann. Nach kurzem Zögern beschließt er, die Lieder der Beatles unter seinem Namen zu veröffentlichen. Mit weitreichenden Folgen …
1969 meinten viele Fans Paul McCartney wäre verstorben und durch einen Doppelgänger ersetzt worden. Als Beleg für diese Theorie diente Ihnen das Cover der Platte „Abbey Road“, auf dem Paul als einziger barfuß die Straße überquert und den rechten Fuß vorne hat. Ich behaupte Drehbuchautor Richard Curtis wurde direkt nachdem ihm die witzige Grundidee zu seinem neuen Film eingefallen ist, von einem Meteoriten am Kopf getroffen und hat sich seither nicht mehr erholt. Und im Gegensatz zu den Anhängern der „Paul is dead“-Theorie kann ich Belege für meine Behauptung liefern.
Richard Curtis war einer der besten Drehbuchautoren Großbritanniens. Der Mann hat mit „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ und „Tatsächlich … Liebe“ so ziemlich die beiden einzigen romantischen Komödien in der Geschichte des Kinos geschrieben, deren Protagonisten keine Idioten sind. „Blackadder“ war eine der intelligentesten Fernsehserien aller Zeiten. Wenn in seinem neuen Film sämtliche handelnde Figuren Idioten und/oder schlechte Karikaturen sind, muss das einen Grund haben. Ein simpler Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma reichen als Ursachen nicht aus.
Curtis hat uns im Laufe seiner Karriere schon folgende Gründe geliefert, warum ein Paar fast einen ganzen Film lang nicht zusammenkommen durfte, obwohl es zusammengehörte: Mann hat Bindungsängste, Frau heiratet einen Armleuchter („Vier Hochzeiten“), Frau ist ein Hollywoodstar während Mann ein Buchhändler ist („Notting Hill“), Mann ist Premierminister, Mann und Frau sprechen nicht die gleiche Sprache, Mann ist erst zwölf Jahre alt, Frau hält Mann für schwul und hat einen anderen geheiratet, Mann und Frau sind Lichtdoubles bei Pornos (alle „Tatsächlich … Liebe“) und so weiter und so fort. Nachdem ich die vollen 116 Minuten von „Yesterday“ aufmerksam zugesehen und zugehört habe, kann ich nur sagen, dass ich keinen Grund erkennen konnte, warum die beiden Liebenden in diesem Film 110 Minuten gebraucht haben, um zusammenzukommen.
Curtis, der sich für einen einzigen seiner Filme fünf originelle Gründe einfallen ließ, warum Mann und Frau lange Zeit nicht zusammenkommen, soll für seinen neuen Film kein einziger guter Grund für dieses Dilemma eingefallen sein? Niemals! Curtis wäre sogar nach einem Kopfschuss eine plausible Begründung eingefallen. Dafür braucht es mindestens einen Meteoriten, der sich in das Gehirn des Autors gebohrt hat und seither kosmische Strahlung abgibt.
He’s a real nowhere man …
Curtis hat in seinen Filmen immer ein Händchen für Musik bewiesen. Ein Cover eines alten Songs der Troggs wurde durch einen seiner Filme zu einem Welthit. In einem anderen Film hat Joni Mitchell mit ihrer Musik Emma Thompson das Herz gebrochen. Und vor ein paar Jahren hat uns Curtis erläutert, wie es im Vereinigten Königreich zur „Radio Rock Revolution“ kommen konnte. Wie kann es also sein, dass er in seinem neuen Film, in dem es doch um die Musik der Beatles gehen sollte, gar nicht um Musik geht?
Jack zögert in „Yesterday“ keine zwei Minuten, die Musik der Beatles als seine eigene auszugeben. Was für eine Art Musiker soll das denn sein? In keiner Szene geht es darum, wie die Songs zu interpretieren wären. Der von Himesh Patel dargestellte Jack hat eine ganz andere Stimme als John, Paul, George oder Ringo. Und die Songs der Beatles wurden vor ungefähr 50 Jahren geschrieben. Seither haben sich die populäre Musik und die Hörgewohnheiten des Publikums doch erheblich verändert. Auf nichts davon wird im Film eingegangen. Hier lässt Curtis kein Ohr für feine Töne erkennen.
So wie sich der Film nur oberflächlich mit Musik beschäftigt, so zeigt er uns auch nichts vom tatsächlichen Musikbusiness in unserer Zeit. In der Plattenfirma sprechen alle von einem „Bewußtseinsveränderndem Album“. Im Jahr 2019 macht man aber kein Geld mehr mit „Albums“, sondern mit Downloads und Tourneen.
Und warum tut die Managerin von Ed Sheeran so, als wäre Jacks wenig attraktives Äußeres ein Problem? Sie hat bisher Ed Sheeran betreut. Seit wann ist der denn ein Sexsymbol?
I never needed anybody’s help in any way …
Curtis hat vor dem Einschlag des Meteoriten in seinen Schädel immer intelligente und witzige Drehbücher geschrieben. Seither hat er nicht nur seinen Sinn für Humor verloren, sondern auch seine Fähigkeit zur Selbstkritik. Nun ist ihm kein Witz mehr zu dumm, kein Gag zu billig. Wenn Jack im Film seinen Eltern zum ersten Mal „Let it be“ vortragen will, klingelt es zunächst an der Tür. Jack setzt nochmal an, da fragt der Vater den Besucher, ob er ein Bier will. Also klimpert Jack nochmal die ersten Takte bis der Besucher nach einem Glas zu seinem Bier fragt. Jack beginnt nochmal von vorne, da klingelt ein Mobiltelefon. Genervt spielt er nochmal vom Anfang, da klingelt es wieder an der Tür und so weiter.
Es ist erstaunlich, wie leicht es sich Drehbuchautor Curtis auch bei dramatischen Szenen macht. Jack will Ellie alles gestehen, plötzlich klingelt das Telefon. Ein Paar führt endlich mal ein Gespräch darüber, warum sie nie zusammengekommen sind, da steht plötzlich der Vater in der Tür. Der Film plätschert dahin, also muss man hektisch zum Bahnhof laufen. Eine Frau hat jahrelang keinen Funken Selbstwertgefühl gezeigt, stellt aber plötzlich sinn- und grundlos ein Ultimatum. Am Ende verzichtet ein Mann auf eine Frau aus dem einfachen Grund, weil das Drehbuch es verlangt hat.
You may say, I’m a dreamer …
Der Meteorit scheint Curtis‘ Gehirn nicht restlos zerstört zu haben. Eine Nebenhandlung um zwei Menschen, die vielleicht ebenfalls Erinnerungen an die Beatles haben, wird ganz reizend aufgelöst. Und wenn Jack endlich nach über anderthalb Stunden Laufzeit einen altgewordenen Herrn in seinem Haus an der Küste besucht, bekommen wir einen kleinen Einblick in den Film den Curtis geschrieben hätte, wenn ihn der Gesteinsbrocken aus dem All verfehlt hätte. Das wäre der Film gewesen, den nicht nur Beatles-Fans viel lieber gesehen hätten. Das wäre der Film gewesen, den auch alle Filmfans viel lieber gesehen hätten.
With a little help from my friends …
Danny Boyle inszeniert gewohnt routiniert. Aber gegen ein Drehbuch, dem man die Strahlenschäden nach Meteoriteneinschlag in fast jeder Szene anmerkt, kommt auch ein Meister wie er nicht an. Gewohnt großartig hat Boyle auch die Besetzung ausgewählt.
Newcomer Himesh Patel schafft es eine furchtbar geschriebene Rolle sympathisch darzustellen. Dass er es dazu noch schafft, an den jungen Hugh Grant zu erinnern, ist ein ganz besonderes Kunststück.
Lily James gelingt es nach „Baby Driver“ und „Mamma Mia 2“ wieder, in einer schrecklichen Rolle ganz hinreißend zu spielen. Sollte sie irgendwann lernen, ihre Projekte besser auszusuchen, wird sie ein ganz großer Star werden.
Kate McKinnon ist eine großartige Komödiantin. Wer sie nur aus Filmen wie „Ghostbusters“ oder „Girls‘ Night Out“ kennt, wird das kaum glauben können. Aber es stimmt. In der Show „Saturday Night Live“ zeigt sie regelmäßig geniales Timing und großes komödiantisches Können. In den USA ist sie unter anderem für ihre Parodie von Ellen DeGeneres bekannt. Warum sie ihre Rolle in diesem Film aber als schlechte Parodie auf DeGeneres‘ Rolle aus „EDtv“ spielt, ist ein Rätsel. Ihr gesamter Part ist so daneben, dafür kann man den Meteoriten nicht alleine verantwortlich machen.
Ed Sheeran spielt sich selbst. Und Sheeran muss wirklich so ein netter Mensch sein wie immer behauptet wird. Sonst hätte er sich nachdrücklich dagegen gewehrt, wie dumm und unlogisch seine Rolle geschrieben wurde.
Gegen Ende des Films ist ein bekannter britischer Schauspieler in einer Überraschungsrolle kaum zu erkennen.
Fazit
Eine witzige Ausgangssituation allein reicht nicht für ein gelungenes Drehbuch. Wenn es in einem Film über Musik nicht um Musik geht und wenn eine romantische Komödie weder besonders romantisch noch besonders witzig ist, dann helfen die Anstrengungen von Regie und Darstellern nicht mehr viel.