An Hunden schätzen wir, dass sie immer das gleiche Verhalten zeigen. Wenn man heimkommt, freuen sie sich. Wenn man sie ruft, kommen sie (oder nicht). Und wenn man was zum Essen dabei hat, sind sie plötzlich brav. Bei Schauspielern wird es irgendwann langweilig, wenn sie bloß das machen, was sie seit langem immer wieder machen.
Nachdem ich nun über alte Filme, Autos und Hunde geschrieben habe, fehlen nur noch Eva Green und meine Frau. Eva Green hätte „Bullett Train“ enorm aufgewertet. Woher ich das weiß? Eva Green wertet jeden Film auf, in dem sie mitspielt. Und „Bullett Train“ hätte diese Aufwertung brauchen können. Ach ja, meine Frau lässt schön grüßen.
Warum habe ich nun fünfhundert Wörter über alte Filme, Autos, Hunde, Eva Green und meine Frau geschrieben und dabei „Bullett Train“ bloß am Rande erwähnt? Weil dieser Film für eine Rezension kaum genug hergibt. Der Film ist nicht schlecht genug für einen Verriss. Er ist aber sicher nicht gut genug für eine Empfehlung. Dieser Film existiert irgendwie auf einer Ebene kompetenter Mittelmäßigkeit, die einfach nur langweilig ist.
Der Film ist eine Actionkomödie. Aber nichts an diesem Film ist wirklich witzig. Ich habe von Drehbuchautor Zak Olkewicz bisher noch nichts gehört oder gesehen. Angeblich hat er zuvor bereits das Drehbuch zu einem Film namens „Fear Street Teil 2: 1978“ verfasst, der mir bisher auch komplett unbekannt war. Olkewicz’ Dialoge klingen zunächst irgendwie witzig, bis man bemerkt, dass es keinen Grund gibt, über sie zu lachen.
Beispiel gefällig? Bitteschön (ACHTUNG SPOILER!): Zwei Kämpfende werden von einer Servicekraft der Bahngesellschaft unterbrochen. Die Dame mit dem Getränkewagen achtet nicht auf die blutenden Wunden der beiden derangierten, atemlosen Männer und bietet Getränke an.
Tangerine: Not particularly, no.
Ladybug: OK (wirft die Wasserflasche nach dem Gegner)
Diese kurze Sequenz ist nicht nur absolut typisch für den Film. Der internationale Verleih hält sie für rasend komisch und einen Höhepunkt des Films, weshalb sie in jedem Trailer vorkommt.
Aber „Bullett Train“ ist ja keine einfache Komödie, sondern eine Actionkomödie. Wie sieht es also mit der Action aus? Wie erwähnt, gibt es nur so und so viele Möglichkeiten, wie zwei Menschen in einem Zug aufeinander losgehen können. Und nach „Liebesgrüße aus Moskau“, „Leben und Sterben lassen“, „Silver Streak“, „Der Spion der mich liebte“, „Under Siege 2“, „Broken Arrow“, „Knight and Day“, „Snowpiercer“, „Spectre“ (was hat James Bond eigentlich immer mit Zügen?), „The Equalizer 2“ und vielen anderen Filmen hält „Bullett Train“ leider nichts Neues für uns bereit. Natürlich ist alles recht blutig. Wir haben 2022 und das Ganze ist freigegeben ab 16. Natürlich ist alles recht plastisch. Wir haben 2022 und CGI macht vieles möglich. Aber neu, spannend oder auch nur unterhaltsam ist die Action kaum.
Holding out for a Hero
Andere Filmjournalisten haben bereits berichtet, Superstar Brad Pitt hätte 95% seiner Stunts selbst durchgeführt. Nähern wir uns dieser Aussage doch mathematisch. Das würde bedeuten, Brad Pitt wäre nur in einer von zwanzig Actionszenen gedoubelt worden. Seine Figur ist aber in nicht mehr als zehn Actionszenen zu sehen.
Gut, dann wurde Herr Pitt eben nur in einer halben von zehn Actionszenen gedoubelt. Welche halbe Szene wäre das gewesen? Die Hälfte der ersten Nahkampfszene, in der man Pitt nur in schnell geschnitten Einstellungen sieht, wie er einen Gegner festhält oder wegdrückt? Hier hatten weder Pitt noch irgendein Stuntman viel zu tun. Für das bisschen Action sorgen Kamera und Schnitt. War es vielleicht die Hälfte der Szene, in der Brad Pitt vor einer Green- oder Bluescreen von einer Windmaschine angeblasen wurde, damit es so aussieht als würde er aus einem fahrenden Zug hängen? Green- oder Bluescreen kann es herzlich egal sein, ob die Windmaschine einen Stuntmen oder Herrn Pitt persönlich anbläst. War es vielleicht seine zweite Nahkampfszene, die weniger als eine Sekunde dauert? Oder war es die Hälfte der Szene, in Pitt durch einen computergenerierten, auseinanderbrechenden Zug stürzt?
Es tut mir schrecklich leid, aber Brad Pitts Figur ist in diesem Film in keiner einzigen echten Stunt-Szene zu sehen. Brad Pitt ist kein Douglas Fairbanks, kein Burt Lancaster und kein Jean Paul Belmondo. Wir haben 2022 und „Stunts“ entstehen vor Green- oder Bluescreens in der Behaglichkeit und Sicherheit großer Filmstudios (es sei denn, der Star heißt Tom Cruise). Gerade bei Filmen großer Studios muss sich niemand mehr in Gefahr begeben. Wirklich gut gemachte Actionfilme lassen uns das vergessen. „Bullett Train“ erinnert leider immer wieder daran.
Auch Darstellerisch begibt sich Pitt niemals in Gefahr. Er verlässt kaum jemals seine Komfortzone. Pitt hat in Filmen wie „The Tree of Life“ oder „Fury“ gezeigt, was er kann. Hier werden wir eher an „The Mexican“, „Ocean’s Eleven“ und „Mr. & Mrs. Smith“ erinnert.
Joey King wirkte als junges Mädchen ganz bezaubernd in Filmen wie „White House Down“ oder „Wish I was here“. Und als junge Dame wirkt sie immer noch bezaubernd in diesem Film. Da die Überraschung hinter ihrer Figur leider viel zu früh aufgedeckt wird, funktionieren der Charakter und damit auch Kings Darstellung für den Rest des Films mehr schlecht als recht.
Aaron Taylor-Johnson war großartig in „Kick-Ass“ und konnte sich auch in „Godzilla“ behaupten. Brian Tyree Henry kennen wir bisher hauptsächlich aus Nebenrollen in „Hotel Artemis“ oder „Joker“. Beide machen das Beste aus ihren eindimensionalen, nicht fertiggeschriebenen Rollen.
Michael Shannon kennen wir als Wahnsinnigen aus „Shape of Water“ oder als Mörder aus „The Iceman“ oder als Verbrecherboss aus „Man of Steel“. Hier spielt er einen mörderischen, wahnsinnigen Verbrecherboss. Und er spielt ihn genauso wie man sich einen mörderischen, wahnsinnigen Verbrecherboss vorstellt und kein bisschen anders.
Zazie Beetz hat mit Regisseur Leitch bereits in „Deadpool 2“ zusammengearbeitet. Hier hat sie sehr oft jemanden als „bitch“ zu bezeichnen. Das war es dann auch schon, was es über ihre Leistung hier zu berichten gäbe.
Im Englischen gibt es den Begriff „to phone in“. Das Cambridge Dictionary beschreibt: „If someone phones in a performance, they do it without any effort“. Sandra Bullocks Stimme ist während des größten Teils des Films nur am Telefon zu hören. Zu sehen ist sie nur in einer einzigen Szene. Enough said.