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Kritik: The American Society of Magical Negroes

sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Komödien, die nicht witzig sind, müssen immer als Fehlschläge betrachtet werden. Aber wie steht es um Satiren, die nicht wissen worüber sie sich lustig machen sollen und dabei nicht witzig sind?
 
Regret is for white people
 
Der junge afroamerikanische Künstler Aren kann auf einer Vernissage keines seiner Kunstwerke verkaufen, weil jede Menge reiche, weiße Kunstsammler seine Kunst nicht verstehen. Nachdem einer der potentiellen Käufer Aren auch noch für einen Kellner hält und Aren sich dafür entschuldigt und nachdem Arens Freundlichkeit ihm auch noch beinahe Ärger mit einer Betrunkenen und ihren gewaltbereiten Freunden eingebracht hat, wird der junge Mann von einem älteren Schwarzen namens Roger angesprochen. Roger meint, Aren hätte Talent. Nicht als Künstler, aber Roger meint, Aren könnte wie er für eine geheime Organisation arbeiten ...
 
Ich habe es schon mehrmals geschrieben. Als Kritiker freue ich mich keineswegs über misslungene Filme. Wie jeder normale Mensch, dem die Kunstform Film am Herzen liegt, sehe ich selbstverständlich lieber gelungene Filme. Und ich freue mich selbstverständlich, wenn ich unseren Leser*innen gelungene Filme ans Herz legen kann, weil mir sowohl Filme als auch unsere Leser*innen am Herzen liegen. Auf „The American Society of Magical Negroes“ habe ich mich gefreut, weil ich den Begriff witzig finde, seit ihn Spike Lee vor mehr als zwanzig Jahren geprägt hat.
 
Meine Freude über „The American Society of Magical Negroes“ bekam ihren ersten Dämpfer verpasst, als man den Journalisten vor der Pressevorführung ein zweiseitiges, sogenanntes „Statement des Regisseurs“ in die Hand drückte, das wir bitte vor Vorstellungsbeginn noch lesen sollten. Ich erlaubte mir einen Scherz mit der Pressedame vom Verleih und fragte, warum der Regisseur seinen Film nicht einfach so drehen konnte, das dieser Film ganz allein für sich bestehen könnte. Sollte nicht der Film das „Statement des Regisseurs“ vermitteln? Die Dame fand meinen Scherz gar nicht lustig. Aber wirklich gar nicht.
 
 
Also saß ich im Halbdunkel des Kinosaals. Pressevorführungen fangen niemals pünktlich an. Filmjournalisten sind irgendwie am Rande doch Film- und Medienleute und Film- und Medienleute sind nie pünktlich. Ich muss es wissen, meine Frau ist unter anderem Cutterin. Ich hatte also genug Zeit, die zwei A4-Seiten mit dem „Statement des Regisseurs“ zu lesen. Und ich konnte es kaum glauben. Auf diesen zwei Seiten erläuterte Erstlingsregisseur Kobi Libii tatsächlich seinen Film. Auf zwei Seiten erklärte er die Handlung, dann die Motivation hinter dem Film, seine Aussage, ... So etwas hatte es meines Wissens noch nie gegeben.
 
Erst erklärte Libii den Topos des „Magical Negro“. Vielen Dank dafür, aber dieser Aufgabe hat er gut 30 Minuten seines 104 Minuten langen Films gewidmet. Dann beschrieb der Regisseur, wie es war als Afroamerikaner in den USA aufzuwachsen. Er schrieb über Lehrer, die ihm beibrachten sich anzupassen. Er schrieb über seinen Vater, der ihn ermahnte, bei Kontakten mit der Polizei unglaublich nett und niemals provokativ zu sein und so weiter und so fort. Und ich dachte bei mir, das klingt alles unheimlich interessant, aber als Filmemacher sollte Kobi Libii darüber vielleicht einen Film machen und kein Essay schreiben, das im Halbdunkel zu lesen ist.
 
Ich kürze an dieser Stelle ab und muss leider feststellen, Kobi Libii kann keinen Film über all die in seinem „Statement des Regisseurs“ erwähnten Themen machen. Nachdem ich die 104 Minuten von “The American Society of Magical Negroes” erlebt habe, kann ich es nicht anders ausdrücken: Kobi Libii musste sein Statement (übrigens nicht nur als Regisseur sondern auch als Drehbuchautor) veröffentlichen, weil er daran gescheitert ist, einen Film über die in diesem Statement beschriebenen Themen zu machen.
 
02 ©2024 Universal Pictures03 ©2024 Universal Pictures04 ©2024 Universal Pictures01 ©2024 Universal Pictures
 
Libiis Film funktioniert nicht als Satire, weil niemand erkennen kann, WORÜBER sich dieser Film lustig macht. Über die Ignoranz weißer Amerikaner? Ja, es gibt die erwähnte Szene, in der ein weißer Kunstsammler Aren für einen Kellner hält. Und ein Social-Media-Konzern im Film hat eine Gesichtserkennungssoftware entwickelt, die Schwarze nicht zu erkennen vermag. Und wir sehen zwei Szenen, in denen „Die Legende von Bagger Vance“ und „The Green Mile“ persifliert werden. Aber zwei Einfälle zu weißer Ignoranz und zwei kurze Filmpersiflagen sind ein bisschen arg wenig für 104 Minuten. Da lieferten schwarze Filmemacher wie die Wayans-Brüder in ihren Scary-Movies mehr fürs Geld.
 
Nachdem ich “The American Society of Magical Negroes” gesehen habe, bin ich nicht einmal sicher, ob Libii überhaupt eine Satire drehen wollte. Vielleicht sollte ich nochmal in seinem zweiseitigen Statement nachlesen. Denn nach einer guten halben Stunde wird sein Film plötzlich zu einer der formelhaftesten romantischen Komödien, die ich je gesehen habe. Ich kann mir zwar nicht hundertprozentig sicher sein, aber ich glaube nicht, dass Libii sich über romantische Komödien lustig machen wollte. Zum einen demontiert er die Formelhaftigkeit von Rom-Coms gar nicht, sondern befolgt sie fast ... nein, ich will nicht „sklavisch“ schreiben.
 
Zum anderen kann sich Libii mit seinem Film aus einem noch viel offensichtlicheren Grund nicht über Rom-Coms lustig machen: nämlich weil sein Film NICHT LUSTIG ist. Es ist unglaublich, wie absolut NICHT LUSTIG dieser Film ist. Dieser Film liefert jede Menge Gags und kein einziger funktioniert. Es gibt Gags die eigentlich lustig sein könnten (z.B. die Gesichtserkennungssoftware, die keine schwarzen Gesichter erkennt), aber nicht funktionieren weil Libii sie nicht richtig inszeniert. Andere Gags funktionieren nicht, weil sie einfach nicht witzig sind (etwa wenn Aren und ein Kollege mit VR-Brillen spielen). Einzelne Gags funktionieren nicht, weil sie nicht witzig sind sondern furchtbar sind (dazu gehört die Sequenz, in der Aren der Betrunkenen hilft). Libii lässt an keiner Stelle seines Films auch nur das geringste Gespür für Comedy erkennen.
 
Als Komödie und als Satire scheitert “The American Society of Magical Negroes” auf voller Länge. Aber als Drama scheitert der Film geradezu schmerzhaft. Natürlich kann dieser Film als Drama nicht funktionieren, weil wir seine Figuren nie wirklich kennen lernen. Hat die Hauptfigur Familie oder Freunde? Hat sie eine Vorgeschichte? Was treibt sie an? Wir erfahren es nie und der Filmemacher liefert damit noch einen ironischen Treppenwitz, wenn er damit genau den Topos erfüllt, den er in seinem Statement kritisiert (Zitat: „Die Schwarzen ...haben kein eigenes Innenleben“).
 
Der Film kann auch nicht als Drama funktionieren, weil Libii in den beiden einzigen dramatischen Szenen seines Films keinerlei Sinn für Drama erkennen lässt. Der großartige David Allen Grier erzählt als Roger eine schreckliche Geschichte über seinen Vater. Diese Geschichte ist so furchtbar, sie müsste uns tief bewegen. Tatsächlich schafft es Libii diese Geschichte jeder dramatischen Wirkung zu berauben. Eine emotionale Rede der Hauptfigur kommt zu spät, ist zu konfus und ist ganz allgemein so komplett fehl-inszeniert, dass sie nur verwirrend wirkt, aber sicher nicht dramatisch.
 
Und schlussendlich funktioniert “The American Society of Magical Negroes” nicht einmal als politischer Film, weil in der Welt von Libiis Film Schwarze offensichtlich noch nie für ihre Rechte eingetreten sind. Libii, ein schwarzer Filmemacher blendet also die gesamte Bürgerrechtsbewegung aus und die Arbeit die sowohl radikale als auch gemäßigte politische Kräfte geleistet haben. Diese respektlose Haltung gegenüber dem, was Schwarze in den USA gegen alle Widerstände erreicht haben und weiter erreichen, sorgt dafür dass der Film von einem Fehlschlag zu einem echten Ärgernis wird.
 
Everyone’s magic will fail
 
In einem solchen Film gibt es für Darsteller*innen nichts zu gewinnen. Justice Smith hat vor einigen Jahren eine solide Leistung im unterschätzten „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ gezeigt. Aber seither hat er Hauptrollen in „Pokemon: Meisterdetektiv Pikachu“ und nun “The American Society of Magical Negroes” gespielt. Ich empfehle dringend, den Agenten zu wechseln.
 
Eine mir unbekannte Darstellerin namens An-Li Bogan braucht ebenfalls dringend einen neuen Agenten. Eine Schauspielerin, die es schafft in einem so lächerlichen misslungenen Film trotzdem so klug, interessant und sympathisch zu wirken, verdient es, längst weltberühmt zu sein.
 
David Alan Grier („Die Farbe Lila“) verdient es seit Jahrzehnten, weltberühmt zu sein. Leider ist er einer dieser großartigen Nebendarsteller, deren Gesicht jeder Filmfan aus Dutzenden Filmen, deren Namen aber fast niemand kennt. In dem praktisch vergessenen Episodenfilm „Amazon Women on the Moon“ war Grier übrigens bereits vor Jahrzehnten in einem kurzen Auftritt als einer der „Blacks without Soul“ zu sehen. Dieser kurze Sketch war eine bessere und vor allem witzigere Satire als alles was “The American Society of Magical Negroes” zu bieten hat.
 
Fazit
 
Eine Satire, die nicht weiß, worüber sie sich lustig machen soll und dabei nicht witzig ist, kann man nur als Fehlschlag bezeichnen. Wenn der Regisseur und Drehbuchautor seinen Film noch in einer Pflichtlektüre zu erklären versucht, muss er sich dieses Fehlschlags bewusst sein.
 
 
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