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Kritik: Call Jane

cjane kritik 
Autor: Walter Hummer
 
Dieser Film behandelt ein enorm wichtiges Thema. Dieser Film ist – leider wieder – enorm relevant. Aber wie auch die Heldin des Films, hat dieser Filme enorme Probleme. 
 
In Our Time
 
Chicago 1968: Joy lebt den amerikanischen Traum. Ihr Mann ist ein erfolgreicher Anwalt. Sie hat eine Teenagertochter, das zweite Kind ist gerade unterwegs. Die Familie lebt in einem schönen Vorort. Zu Beginn des Films wird sie zufällig Zeuge einer politischen Kundgebung. Doch ein freundlicher Polizist weist sie höflich in die Geborgenheit ihrer Welt zurück. Aber dann wird Joy krank und erfährt, sie würde bei dem Versuch das Kind auszutragen, vermutlich sterben. Ein Gremium im Krankenhaus muss entscheiden, ob die Schwangerschaft abgebrochen werden darf.
 
Die Szene, in der über Joys Schwangerschaftsabbruch und damit über ihren Körper und ihr Leben abgestimmt wird, ist einer der Höhepunkte dieses Films. Und vieles an dieser Szene ist wirklich gut und effektiv gestaltet. Joys Vertrauen in Institutionen und ihre Konditionierung als gute Hausfrau lässt sie einen Teller selbstgebackener Kekse zu dem Meeting mitbringen. Das – natürlich – rein männliche Gremium spricht als wäre die Frau, um deren Leben es geht, gar nicht anwesend. Am Ende ist Joy enttäuscht. Sie verabschiedet sich so unhöflich wie es ihr möglich ist: sie nimmt ihre Kekse wieder mit.
 
 
Aber selbst in dieser Schlüsselszene, können wir eines der Hauptprobleme dieses Films erkennen. Die anwesenden Männer wollen offensichtlich nicht mit der anwesenden Joy sprechen. Warum muss Joy das noch kommentieren? Wäre die emotionale Wucht nicht besser vermittelt worden, wenn Joy zunächst sprachlos vor Enttäuschung und Wut gewesen wäre? Das hätte der Heldin einen viel stärkeren Abgang ermöglicht und damit der ganzen Szene mehr Dramatik verliehen.
 
Aber „Call Jane“ ist einer dieser Filme, in denen Schauspieler nur selten zeigen dürfen, wie es in ihnen vorgeht. Dafür dürfen sie alles in vielen Dialogzeilen erläutern. Der erfolgreiche Anwalt ist hilflos und trotzdem entschlossen, sich eisern an die Regeln zu halten. Also muss er das in einer viel zu langen Szene erklären und Sätze wie „We do everything right“ von sich geben. Die politische Kundgebung am Anfang sollte Joy zum ersten Mal im Verlauf der Handlung erschüttert haben. Also folgt eine Szene in der sie ihrem Mann genau das erklärt.
 
Die Autorin Hayley Schore und der Autor Roshan Sethi haben bisher zusammen für die Fernsehserie „Atlanta Medical“ geschrieben. Vielleicht haben sie durch diese Erfahrung nur wenig Vertrauen in Schauspieler*innen und deren Fähigkeiten entwickelt. Sethi hat am Drehbuch für die unbekannte Rom-Com „7 Days“ mitgearbeitet. Aber davon abgesehen ist „Call Jane“ ist der erste größere Spielfilm beider Autor*innen. Und das merkt man.
 
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Nicht nur ihre ständig erklärenden Dialoge nehmen dem Film viel von seiner Wirkung. Man fragt sich, welchen Film das Autorenteam hier überhaupt schreiben wollte? Ist es ein anspruchsvolles Drama über die Entwicklung einer Vororthausfrau zur Kämpferin? Dann sind Szenen wie jene, in der Joy vor Freude in die Hände klatscht, weil sie etwas ebenso Anspruchsvolles wie Gefährliches tun darf, komplett daneben. Wenn Joy ziemlich spät im Film weint, wirkt es als würde sie um sich selbst weinen. Diese und andere Fehler sorgen dafür, dass wir uns mit dieser Heldin nie richtig identifizieren können.
 
Oder sollte „Call Jane“ ein politischer Film sein, der uns vermitteln wollte, wie furchtbar die Situation noch vor nur wenigen Jahrzehnten in den USA war (und gerade wieder wird) und welche Risiken die mutigen Frauen, die „Janes“, in dieser Zeit auf sich genommen haben? Dann hätte man den interessantesten Teil der Geschichte doch niemals in wenigen Szenen zusammenfassen dürfen. Gegen Ende des Films werden in zwei Minuten kurz folgende Punkte besprochen:
  • Die Frauen der Hilfsorganisation lernen selbst Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, um von korrupten, männlichen Ärzten unabhängig zu werden
  • Eine Razzia mit Verhaftungen
  • Ein langwieriger Gerichtsprozess
  • Die Wandlung eines biederen, bürgerlichen Anwalts zum Kämpfer für Frauenrechte
  • Die politischen Veränderungen, die endlich legale Schwangerschaftsabbrüche möglich machten
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Nichts davon wird tatsächlich gezeigt. Rein gar nichts. All diese Entwicklungen, einige der interessantesten Teile der ganzen Geschichte werden nur kurz im Dialog erwähnt. Nie wird vermittelt, wie diese mutigen Frauen ständig Angst vor Verhaftung und langjährigen Gefängnisstrafen haben mussten, nur weil sie anderen Frauen halfen. Die Organisation der Frauen rund um Joy und die von Sigourney Weaver dargestellte Virginia scheint kaum größere Sorgen zu haben als jeder andere gemeinnützige Verein.
 
Die Regie von Phyllis Nagy hat dem unentschlossenen, dialoglastigen Drehbuch nicht viel entgegenzusetzen. Nagy hat bisher das Drehbuch zu „Carol“ auf der Grundlage von Patricia Highsmiths Roman verfasst. Als Regisseurin hat sie für Theater und Fernsehen gearbeitet. Mit „Call Jane“ hat sie ihren ersten Spielfilm inszeniert. Kaum jemals vermittelt sie die ständige Bedrohung unter der ihre Heldinnen agieren.
 
Nagys Bilder sind oft zu schön, zu gefällig. Ein Regenguss kommt zu plötzlich und zu passend. Keine der Frauen ist wirklich gekleidet oder trägt die Haare wie es zu der Zeit üblich war. Die Räume sind alle viel zu fotogen. Die Autos sind alle viel zu gut in Schuss. Selbst die Lacke eines Taxis oder des alten Autos einer schwarzen Feministin sind auf Hochglanz poliert.
 
Originelle Ideen lässt Nagy nur beim Soundtrack erkennen. Sie vermeidet die bereits allzu oft gespielten, naheliegenden Hits der späten Sechzigerjahre. Ihre Auswahl der Songs erinnert an Quentin Tarantino, wenn er sehr viel weniger chauvinistisch wäre. Die Doppeldeutigkeit von Malvina Reynolds „What’s Going On Down There?“ lässt sogar Sinn für Humor erkennen, der dem Rest des Films fast völlig fehlt. Der größte Teil des Films besteht aus klischeehaften Dialogen und immer wieder zu schönen Bildern, die nicht recht zum Thema passen.
 
What's Goin' On Down There?
 
In diesen schönen Bildern haben die Darsteller ihre Dialoge abzuliefern. Chris Messina hat den verwirrten, unwissenden Ehemann zu geben. Dazu darf er erklären, dass er nicht schon wieder Fertiggerichte zum Abendessen mag. Viel mehr erfahren wir von und über diese Figur nicht.
 
Kate Mara ist natürlich zu jung für die Rolle der Witwe aus dem Nebenhaus. Sie darf uns erzählen, dass sie verwitwet ist und Nixon gewählt hat. Die Nebenhandlung rund um sie und den vernachlässigten Ehemann ist ebenso vorhersehbar wie unergiebig.
 
John Magaro („The Big Short“) hat eine Szene als Polizeibeamter. Darin sieht er aus, wie Al Pacino in „Serpico“, fährt aber im Streifenwagen vor. Dieser Auftritt ergibt keinen Sinn und ist ein bloßes Handlungselement. Eine junge Darstellerin namens Grace Edwards spielt die Tochter der Heldin und ist mindestens fünf Jahre zu alt für diese Rolle.
 
Wenn „Call Jane“ in Teilen funktioniert, dann wegen der beiden Hauptdarstellerinnen. Elizabeth Banks hat in einer frühen Nebenrolle in „The 40 Year Old Virgin“ einen ersten bleibenden Eindruck hinterlassen und sich seither zu einer vielseitigen Darstellerin entwickelt. Leider gibt ihr das ungeschickte Drehbuch keine Gelegenheit die Entwicklung ihrer Figur zu spielen. Banks bleibt nichts anderes übrig, als von Szene zu Szene zu spielen und so können wir uns nie richtig mit ihrer Figur identifizieren.
 
Sigourney Weaver war bereits eine hervorragende Charakterdarstellerin, bevor sie vor einigen Jahrzehnten mit „Aliens“ die erste weibliche Action-Heldin wurde. Seither ist sie eine Legende, hat aber seit vielen Jahren keine Rolle gespielt, die ihrer würdig gewesen wäre. Wir haben sie in letzter Zeit vor allem in Nebenrollen in Filmen wie „Sieben Minuten nach Mitternacht“ oder Cameos wie in „Paul – Ein Alien auf der Flucht“ gesehen. In „Call Jane“ quält sie sich durch ihre lächerlichen Dialoge, um in einer einzigen, herrlichen Szene einen jungen Mann in seine Schranken zu weisen und den jungen Darsteller an die Wand zu spielen.
 
Fazit
 
Ein wichtiges und relevantes Thema allein macht noch keinen guten Film. Ein unentschlossenes Drehbuch und eine zu gefällige Regie machen diesen Film zu einem typischen Vertreter der Reihe „Gut gemeint, aber schlecht gemacht“.
 
 
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