Marvel, aber nicht Marvel-Universe …
Vor bald zwanzig Jahren waren die Marvel Studios noch so arm, dass sie sich zur Produktion des ersten „Spider-Man“-Films mit Columbia Pictures zusammentun mussten. Wer die „Captain America“-Version von 1990 gesehen hat, weiß, dass Marvel es damals nicht geschafft hätte, so einen Blockbuster allein zu produzieren. Seither gehörten die Rechte an „Spider-Man“ nicht mehr den Marvel Studios allein. Daher hat es auch zwei Neustarts der Serie gebraucht, bis „Spidey“ endlich bei den Avengers mitmischen durfte.
Zum Ausgleich dafür, dass Spider-Man nun Teil des Marvel-Film-Universums werden konnte, dürfen Columbia Pictures, die wiederum zu Sony Pictures gehören, nun Filme mit Figuren aus der Welt von Spider-Man ins Kino bringen, die aber nichts mit den Avengers zu tun haben. Deshalb haben uns Columbia Pictures vor Kurzem auch „Venom“ antun dürfen, einen Film so altmodisch und vorhersehbar, dass man beim Vergleich mit den Filmen der Marvel Studios nicht einmal darüber lächeln kann. Mit „Spider-Man: A New Universe“ gehen Columbia und Sony Pictures zum Glück ganz andere Wege.
Wieso ist die Stimme in meinem Kopf so laut?
Nach „Spider-Man: Homecoming“ haben wir hier nun wieder einen Teenager als neuen Spider-Man. Im Film wird nicht erwähnt, wie alt Miles Morales ist. Aber er ist sicher noch jünger als Peter Parker war, als dieser zum ersten Mal die Wand hochging. Und anders als in so vielen Filme mit jugendlichen Protagonisten, sehen wir hier die Welt tatsächlich aus der Sicht eines jungen Menschen. Miles durchschaut die leeren Phrasen der Erwachsenen ebenso mühelos wie jeder echte Teenager. Wenn der Film sich dabei so ganz nebenbei über die pathetischen Dialogzeilen der früheren Filme lustig macht, ist das nur einer von vielen cleveren kleinen Seitenhieben auf die bisherigen Werke.
Drehbuchautor Phil Lord zeigt viel Gespür für die Situation junger Menschen, wenn er Miles auch noch mit jeder Menge anderer Probleme kämpfen lässt. Die Eltern meinen es gut, verstehen aber rein gar nichts. Eine andere Bezugsperson stellt sich als Enttäuschung heraus. Der Versuch die nette Mitschülerin anzusprechen endet in einer Katastrophe. Die körperlichen Veränderungen nach dem Spinnenbiss hält Miles dann auch zunächst für Symptome der Pubertät. Der Junge fühlt sich nicht nur von diesen Veränderungen überfordert. Irgendwie passiert ständig viel zu viel und viel zu schnell. Und wenn Erwachsene dem verwirrten jungen Menschen immer wieder sagen, dass er für dieses oder jenes noch nicht bereit sei, ist das auch kein bisschen hilfreich.
Natürlich ist das Drehbuch nicht perfekt. Man hätte die Handlung deutlich straffen können. Genaugenommen nimmt die Exposition zwei Drittel der Laufzeit des Films ein. Und einige altmodische oder unlogische Kleingeiten wirken in dem sonst über weite Strecken modernen und homogenen Film störend. Wer bespricht denn die Mailbox seines Handys mit “Ich bin ein paar Tage nicht in der Stadt“? Mobiltelefone kann man, anders als Anrufbeantworter, auf Reisen mitnehmen. Und warum muss Miles im Internat übernachten, wenn die neue Schule nur wenige Minuten von seinem Zuhause entfernt liegt? Aber über solche Kleinigkeiten sieht man gern hinweg, wenn der Rest des Films einfach gut und vor allem witzig geschrieben ist.
Stell Dich dumm!
Wie so viele gute Animationsfilme steckt auch „Spider-Man: A New Universe“ voller Gags. Nicht nur die Dialoge bieten eine ganze Reihe großartiger Pointen. Es sind vor allem die vielen visuellen Gags, die diesen Film so dicht wirken lassen. Von Miles erstem „Spider-Man“-Outfit, über die Looks der anderen „Spider-Leute“, oder besser gesagt, „Spider-Wesen“, bis zu den vielen Kleinigkeiten, die diese Version von New York von der uns bekannten unterscheiden, gibt es in diesem Film viel zu sehen. Leider kann der visuelle Stil des Films nicht immer überzeugen. Die Hintergründe wirken teilweise sehr roh und unfertig. An anderen Stellen meint man, einen 3D-Film ohne Brille zu sehen.
„Spider-Man: A New Universe“ wurde von nicht weniger als drei Regisseuren inszeniert. Bob Persichetti hat bereits an der Animation von Filmen wie „Shrek 2“ und „Der gestiefelte Kater“ mitgearbeitet. Aber für ihn und seinen Kollegen Rodney Rothman, der bisher nur als Autor („Zwei vom alten Schlag“) und Produzent tätig war, ist es die erste Regiearbeit. Peter Ramsey hat vor einigen Jahren „Die Hüter des Lichts“ inszeniert. Es ist vermutlich kaum festzustellen, wer von den drei Regisseuren für die erwähnten visuellen Schwächen des Films verantwortlich ist. Oder wessen Idee die ungleichmäßige Dramaturgie war. Oder wer Schuld daran hat, wenn ausgerechnet die Kampfsequenzen zu den schwächsten Szenen dieses doch zu einem großen Teil visuell so starken Films gehören.
Die Szenen in denen die verschiedenen Versionen von Spider-Man im Einsatz vorgestellt werden, sind visuell sehr ansprechend gestaltet. Und eine Actionsequenz in der Miles mit dem bewusstlosen Peter Parker an einer U-Bahn hängt ist ebenso spannend wie witzig. Aber der erste Kampf um die Quantenmechanik-Maschine und eine Flucht aus einem Labor zeigen uns nichts, was wir nicht schon in anderen Filmen gesehen hätten. Der entscheidende Endkampf fällt dann vor allem unübersichtlich aus. Wenn es einem dann auch noch vorkommt, als würde sich alles wiederholen, dauert dieser Kampf einfach viel zu lang.
Aber auch diese Schwächen verzeiht man diesem originellen und unterhaltsamen Film gern. Dazu bekommt man einfach viel zu viel zu sehen. Und sehr viel von dem was wir zu sehen bekommen ist sehr gut gemacht. Wenn dann der verstorbene Stan Lee noch einmal in einem seiner besten Cameos zu sehen ist, hat einen der Film doch ohnehin schon auf seine Seite gezogen.
Übrigens, als die Widmung für die beiden im letzten Jahr verstorbenen „Spider-Man“-Schöpfer Steve Ditko und Stan Lee im Abspann zu lesen war, ist mir etwas ins Auge gekommen. Einen Schnupfen hatte ich an dem Tag auch. Und ich war müde. Deshalb kann es so ausgesehen haben, als hätte ich eine Träne wegwischen müssen. Oder auch zwei Tränen. Eine für jeden dieser wunderbar kreativen Männer.
Fazit
„Spider-Man: A New Universe“ bietet den Fans alles, was sie an ihrem Helden mögen. Und vieles davon bekommen wir auf eine ganz neue, originelle und spannende Art und Weise gezeigt. Wenn der Film dabei extrem witzig und trotzdem niemals albern oder oberflächlich ist, lässt einen das über kleinere Schwächen hinwegsehen.