What About Love?
Regisseur Blitz Bazawule hat bisher vor allem kleinere Filme oder fürs Fernsehen gedreht. Bei Beyoncés „Black ist King“ war er einer der Co-Regisseur*innen. Seine Arbeit an „Die Farbe Lila“ ist sicher effektiv. Wie erwähnt, bringt uns der Film immer wieder zum Weinen. Davon abgesehen wirkt die Regie aber sehr uninspiriert. Wir bekommen nur selten ein Gefühl für Ort und Zeit der Handlung vermittelt. Alles wirkt ein bisschen zu glatt und zu sauber.
Die Ausstattung des Films wirkt sehr hochwertig. Aber auch hier wirkt alles sehr glatt und sauber. Alle Räume wirken großzügig dimensioniert und gemütlich. Selbst eine Gefängniszelle wirkt geräumig und luftig. Die Kleider sind fast alle sauber und makellos. Alle Autos sind hochglanzpoliert. Und im tiefsten Süden der Zwanziger- und Dreißigerjahre gibt es erstaunlich viele asphaltierte Straßen.
Zur glatten und sauberen Regie und Ausstattung passt auch das Drehbuch von Marsha Norman und Marcus Gardley. Norman hat u.a. vor vierzig Jahren „Nacht, Mutter“ geschrieben, ein bewegendes aber stilles, nachdenkliches Drama über eine Frau mit furchtbarem Schicksal. Gardley hat bisher vor allem für das Fernsehen geschrieben. Und leider erinnert das Drehbuch zu „Die Farbe Lila“ mehr an Fernsehserien als an Normans mit einem Pulitzer ausgezeichnetes Theaterstück.
Viel zu dramatisch ist das Drama, viel zu versöhnlich die Happy-Ends, viel zu schnell und zu plump die Übergänge von tieftraurig zu lustig und zurück. Wenn ein gewalttätiger Wüstling plötzlich zum verliebten Gockel wird, wirkt das nicht witzig sondern irritierend. Und Barschlägereien wirken nur dann lustig, wenn zwei der Beteiligten Bud Spencer und Terence Hill heißen, aber nicht in einem Film über endemische Gewalt in Familien und Beziehungen.
Wenn eine Frau am Ende mit allen anderen Protagonisten einen fröhlichen Kreis bildet, um vom lieben Gott zu singen und sich in diesem Kreis unter anderem der Mann befindet, der sie jahrzehntelang gequält und misshandelt hat, ist das schon ein bisschen arg viel des Guten. Spätestens an der Stelle kann man nicht mehr ignorieren, wie aufdringlich und manipulativ dieser Film vorgeht, um auf unsere Tränendrüsen zu drücken.
Hell no!
Also was ist denn nun der zweite Pluspunkt von „Die Farbe Lila“? Und warum funktioniert das ganze „tearjerking“ so gut? Der zweite Pluspunkt und der Grund, warum der Film überhaupt funktioniert, ist die fast durchweg hervorragende Besetzung.
Die noch recht unbekannte junge Phylicia Pearl Mpasi bricht uns als junge Celie bereits nach wenigen Minuten das Herz. Halle Bailey („Arielle, die Meerjungfrau“) erfüllt uns mit Angst und Sorge um Celies Schwester Nettie.
Colman Domingo („Assassination Nation“) vermittelt uns die verabscheuungswürdige Brutalität von Celies Ehemann „Mister“ ebenso wie dessen Erbärmlichkeit. Wenn wir seine Wandlung vom Saulus zum Paulus am Ende nicht recht akzeptieren können, ist das die Schuld des Drehbuchs, nicht die Domingos.
Danielle Brooks („Orange is the New Black”) ist für ihre Darstellung der Sofia für einen Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert worden und wenn Jodie Foster oder Emily Blunt ihr demnächst die Statue wegschnappen sollten, werde ich mitten in der Nacht meinen Fernseher anbrüllen. Brooks vermittelt in dem Film eine so außergewöhnliche, unbändige Kraft, das Publikum kann direkt spüren, wie ihre Figur der Sofia ihre Freundin Celie damit auflädt.
Taraji P. Henson („Hidden Figures“) macht ihren Job als Sängerin Shug Avery nicht schlecht. Aber einzelne ihrer Szenen erscheinen dann sogar im Kontext dieses „tearjerkers“ ein wenig „overacted“. Dabei wirkt ihre Figur im Film nie so schillernd, wie sie auf Celie doch wirken müsste. Im Vergleich zu den teilweise fantastischen Leistungen ihrer Kolleg*innen, fällt Hensons Darstellung recht beliebig aus.
Selbst in kleinsten Nebenrollen brillieren in diesem Film Könner*innen wie Corey Hawkins („Die letzte Fahrt der Demeter“), David Alan Grier („Jumanji“), Elizabeth Marvel („Das Bourne Vermächtnis“). Ganz besonders erfreulich ist das Wiedersehen mit der Schauspiel-Legende Louis Gosset Jr. („Ein Offizier und Gentleman“). Und selbst die kleine Rolle einer Hebamme ist prominent besetzt.
Über all dem strahlt der Triumph von Sängerin Fantasia Barrino in ihrer ersten Hauptrolle. Als Celie leidet und erleidet sie. Sie singt und hofft. Sie träumt und liebt. Und wir leiden und erleiden mit ihr. Wir singen ihre Lieder mit und teilen ihre Hoffnung. Wir träumen mit ihr und lieben über die Entfernung von Kontinenten hinweg. Wenn „Die Farbe Lila“ der effektivste „tearjerker“ des Jahres ist und als Film halbwegs funktioniert, dann ist das zu einem großen Teil Fantasia Barrinos Verdienst.