Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? In Ang Lees neuem Film spielt Will Smith einen für die US-Regierung arbeitenden Profikiller, der plötzlich von einer jüngeren Version seiner selbst gejagt wird.
Smith mal zwei
Bereits Ende der 1990er Jahre geisterte die Idee zu „Gemini Man“ in Hollywood umher, wurde mit verschiedenen bekannten Regisseuren in Verbindung gebracht, schmorte letztlich aber in der sogenannten Entwicklungshölle vor sich hin. Das Unternehmen Walt Disney Pictures, das die Rechte am Drehbuch erworben hatte, konnte den Stoff nicht entscheidend vorantreiben, zumal die Technik damals noch nicht ausgereift war.
Zwei Dekaden später bringt nun Oscar-Preisträger Ang Lee (ausgezeichnet für „Brokeback Mountain“ und „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“) den nur mit leichten Science-Fiction-Anklängen versehenen Actionthriller rund um einen ausgelaugten Geheimdienstmitarbeiter, der von einem jüngeren Klon verfolgt wird, auf die große Leinwand und experimentiert dabei, wie schon in seiner letzten Regiearbeit „Die irre Heldentour des Billy Lynn“, mit dem bislang noch recht kontrovers diskutierten High-Frame-Rate-Verfahren. Einem Format, das mit einer höheren Bildrate pro Sekunde operiert, als es im Kino üblich ist.
Ein dickes Klischee steht gleich am Anfang: Als der für die US-Behörde DIA tätige Killer Henry Brogan (noch immer charismatisch: Will Smith) nach einem letzten Job in Rente gehen will, findet er sich plötzlich in einer Verschwörung wieder und gerät auf die Abschussliste seiner früheren Auftraggeber. Weil ein erster Mordanschlag misslingt, spielt Brogans alter Bekannter Clay Verris (Clive Owen), der ein Geheimprojekt namens GEMINI leitet, seinen letzten Trumpf aus.
Zur Strecke bringen soll den frischgebackenen Ruheständler der Elitesoldat Junior (ein digital erzeugter Will Smith), bei dem es sich um einen jüngeren Klon Henrys handelt. Der Gejagte wiederum will Licht in die Intrige bringen und erhält bei seiner Suche nach Antworten Unterstützung von der DIA-Agentin Danny Zakarweski (Mary Elizabeth Winstead) und seinem langjährigen Kumpel Baron (Benedict Wong).
Technik, die verblüfft
Schon vor dem Kinostart bemühten sich die Macher, darauf hinzuweisen, dass ihr Film revolutionäres Potenzial besitzt. In der Tat hebt sich „Gemini Man“ auf technischer Ebene von vielem ab, was man bislang gesehen hat. Die gesteigerte Bildwiederholfrequenz sorgt für eine bemerkenswerte Tiefenschärfe und eine glasklare Optik, an die man sich erst einmal gewöhnen muss.
Die HFR-Methode, die bisher nur von wenigen Starregisseuren angewendet wurde, erzeugt eine Art Mittendrin-statt-nur-dabei-Effekt, der besonders in den dynamisch arrangierten Actionmomenten voll zur Geltung kommt. Exemplarisch ist die erste große Verfolgungssequenz, bei der Henry und sein jugendlicher Doppelgänger durch die Straßen der kolumbianischen Küstenstadt Cartagena heizen und sich ein wildes Feuergefecht liefern.
Fast hat man das Gefühl, selbst vor Ort zu sein und die Einschläge der Kugeln und das Splittern des Holzes hautnah zu spüren. Staunenswert ist freilich auch die Gestaltung des aus dem Computer stammenden Juniors, den man praktisch nicht von den echten Darstellern unterscheiden kann. Die digitalen Möglichkeiten sind inzwischen offenkundig so groß, dass man sich unweigerlich die Frage stellt, ob es im Kino der Zukunft überhaupt noch Menschen aus Fleisch und Blut geben wird. Ein unheimlicher Gedanke!
So stark die technischen Finessen in den Bann ziehen, so sehr verwundert das doch recht dünne Drehbuch. Der Plot stammt aus dem Standardbaukasten für Actionreißer und verzichtet auf clevere Wendungen und große Überraschungen. Das Ganze läuft zwar kurzweilig ab. Am Ende erscheint die Geschichte allerdings arg austauschbar. Und das, obwohl sie an spannenden ethischen Problemstellungen und Gedankenspielen kratzt.
Wie stark wird die eigene Identität erschüttert, wenn man unerwartet einem jüngeren Ebenbild gegenübersteht? Welche Auswirkungen hat die Begegnung auf den Klon? Und könnte es gute Gründe geben, einen Menschen zu reproduzieren? „Gemini Man“ versucht, emotionale Akzente zu setzen und Diskussionen anzustoßen, tut dies aber viel zu halbherzig, um das Publikum nachhaltig zu beeindrucken. Keine Frage: Der Inhalt hinkt hier der aufregenden Form deutlich hinterher.
Fazit
Ein klarer Fall von Style over substance. Visuell fährt Ang Lee atemberaubende Geschütze auf. Erzählerisch hätte man von dem vielfach prämierten Regisseur allerdings mehr erwarten dürfen.