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Kritik: War Sailor

cjane kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Das größte Problem von Antikriegsfilmen ist, dass sie den Krieg leider oft auch als Abenteuer darstellen. Dabei ist Krieg im Grunde nur Zerstörung. „War Sailor“ zeigt, was der Krieg alles zerstört ...
 
Du grübelst zu viel
 
Bergen in Norwegen, 1939: Alfred findet kaum Arbeit und weiß nicht, wie er seine Frau und seine drei Kinder ernähren soll. Also heuert er mit seinem Freund Sigbjørn bei der norwegischen Handelsmarine an. In achtzehn Monaten will Alfred wieder bei seiner Familie sein. Aber während Alfred auf See ist, annektieren die Deutschen Norwegen. Die norwegischen Schiffe unterstützen nun die Kriegsbemühungen der Briten. Sie transportieren wichtige Fracht über den Atlantik und riskieren dabei ständig versenkt zu werden. Als Bergen 1944 bombardiert wird, hatte Alfred noch immer keinen Kontakt zu seiner Familie ...
 
Wer sich Listen von Antikriegsfilmen auf imdb, collider, screenrant oder ähnliches Seiten ansieht, wird immer wieder u.a. folgende Filme finden: „The Deer Hunter“, „Apocalypse Now“, „Full Metal Jacket“. Ich schätze Michael Comino sehr. Aber wer in „The Deer Hunter“ eine Antikriegsbotschaft (oder überhaupt eine Botschaft) erkennt, muss im Kino ganz merkwürdiges Popcorn essen. „Apocalypse Now“ ist ein Meisterwerk, aber seine Haltung ist nicht einmal wirklich Anti-Wahnsinn, so wie Wahnsinn und Krieg darin verherrlicht werden. Das erste Drittel von „Full Metal Jacket“ ist ein großartiger Antikriegsfilm, aber der ganze Rest ist hervorragend gemachter, rassistischer Mist der jede Menschlichkeit vermissen lässt.
 
 
Stanley Kubrick hat übrigens knapp drei Jahrzehnte vorher bereits einen echten Antikriegsfilm gedreht. Warum heute noch jeder Filmfan „Full Metal Jacket“ kennt und kaum jemand Kubricks „Pfade zum Ruhm“ sollte an anderer Stelle genauer betrachtet werden. Echte Antikriegsfilme gibt es nur wenige. Neben dem erwähnten „Pfade zum Ruhm“ wären da noch „Komm und sieh“, „Threads“ und „Johnny got his gun“. All diese Filme haben zwei Dinge gemeinsam. Erstens: kaum jemand kennt sie. Zweitens: es werden darin kaum Kampfhandlungen gezeigt. Wir sehen keine aufregenden Feuergefechte, bekommen nie die Spannung im Inneren eines Cockpits vermittelt. Krieg ist kein Abenteuer. Wenigstens nicht für normale Menschen.
 
„War Sailor“ (im Original „Krigsseileren“, auf Deutsch also „Kriegsmatrosen“) ist ein echter Antikriegsfilm. Regisseur und Drehbuchautor Gunnar Vikene macht alles richtig, wenn er uns in seinem Film praktisch nie Kampfhandlungen zeigt. Wir sehen immer nur die Auswirkungen. Wir sehen die Zerstörung. Denn für ganz normale Menschen ist der Krieg nichts anderes als Zerstörung. Wir sehen einen Schiffbrüchigen ganz und gar mit Öl überzogen. Kein Wort darüber, wenn es einfach abgewaschen wird. Wir sehen wie Matrosen durch ein Loch im Schiffsrumpf in den Tod gesogen werden. Wie das Loch entstanden ist, macht für sie und ihre Kameraden doch keinen Unterschied.
 
In einer Szene sehen wir eine Mutter in einer Wolke aus Staub und Rauch stehen. Die Wolke lichtet sich und sie sieht einen Bombentrichter voller Schutt. Für diese Mutter macht es keinen Unterschied, wie dieses Loch in der Welt entstanden ist. Sie weiß nur, irgendwo in diesem Loch muss ihr Kind sein. Selbst ein abgerissenes Bein auf hoher See bekommen wir nur kurz gezeigt. Was wir zu sehen bekommen, sind Gesichter. Die Gesichter der anderen Matrosen. Das Gesicht des verstümmelten jungen Mannes, eines halben Kindes, der Schmerz und Angst zu ertragen hat.
 
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Wir sehen Zerstörung. Und wir sehen, wie ganz normale Menschen mit der Zerstörung und den Folgen umgehen müssen. Wir sehen einen Matrosen, der nach vielen Jahren der ständigen Angst auf dem Meer, beim harmlosen Herumtollen in hüfthohem Wasser plötzlich panische Angst bekommt. Wir sehen eine Mutter, die mit kaltem Wasser den Staub der Zerstörung von ihren Kindern abwäscht.
 
Wir sehen, wie ein Mann die schlimmste Nachricht seines Lebens bekommt und erst einmal Abgeschiedenheit für seinen Zusammenbruch sucht. Während eines berührenden Epilogs, der lange nach Kriegsende spielt, erfahren wir in einem Nebensatz wie wenig jemand über einen ihm nahestehenden Menschen weiß. Der Krieg zerstört Familien, selbst wenn sie den Krieg überlebt haben.
 
Eine wunderschöne, berührende Szene mit einem tanzenden Matrosen, lässt uns erkennen, Krieg ist auch die Abwesenheit alles Schönen. Was bleibt uns noch, wenn alles Schöne fehlt? Wenn ein guter, aufrechter Mann gegen Ende des Films etwas Furchtbares tut, wissen wir, Krieg lässt niemanden zum Helden werden. Ein guter Mensch wäre auch ohne Krieg ein guter Mensch. Im Krieg wird am Ende auch das Gute im Menschen zerstört.
 
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Ich hoffe, es geht Euch gut zuhause
 
Mit einem Budget von 110 Millionen norwegischen Kronen, ist „War Sailor“ der teuerste norwegische Film aller Zeiten. 110 Millionen norwegische Kronen sind gerade mal 10 Millionen Euro. Was Gunnar Vikene und sein Team damit geschaffen haben, ist ein Wunder. Kaum jemals erkennen wir die Beschränkungen dieses lächerlich geringen Budgets. Ja, natürlich wurde niemals in Singapur gedreht. Aber die Drehorte in Norwegen, Malta und Norddeutschland wurden genial eingesetzt. Wir spüren die Enge einer Familie in einer altmodischen Zweizimmerwohnung ebenso wie die Weite des Ozeans und die Trostlosigkeit eines Lazaretts.
 
Dabei hilft auch die Musik von Volker Bertelmann. Der Deutsche hat in den letzten Jahren nicht nur Musik für einheimische Produktionen wie „Gut gegen Nordwind“ oder „Monte Verità“ komponiert, sondern auch für internationale Filme wie „Ammonite“ oder die aktuelle Neuverfilmung von „Im Westen Nichts Neues“. Mit seiner Musik zu „War Sailor“ versucht er nie zusätzliche Dramatik zu vermitteln. Beinahe zurückhaltend untermalt und unterstreicht er die großartigen Bilder von Kameramann Sturla Brandth Grøvlen („Victoria“, „Der Rausch“).
 
Was der Krieg alles zerstört wird in diesem Film aber nicht nur in Bildern gezeigt. Wir bekommen die Zerstörung vor allem durch die großartigen Darsteller*innen vermittelt. Ine Marie Wilmann ist in Norwegen als Bühnen-, Fernseh-und Filmschauspielerin bekannt. Sie spielt im Film die Mutter und Ehefrau. Dabei leiht sie ihr ausdruckstarkes Gesicht einer ganzen Generation von Müttern und Ehefrauen, deren Schicksal es war, zu arbeiten, zu warten und zu ertragen.
 
Pål Sverre Valheim Hagen hat in „Kon-Tiki“ den Forscher Thor Heyerdahl dargestellt. Mit seinen fast zwei Metern Körpergröße wirkt er wie ein charmanter Wikinger. Er ist die Idealbesetzung des Freundes und Kameraden der Hauptfigur.
 
Kristoffer Joner ist in Norwegen ein Star. International hat man in bisher nur in Nebenrollen in „The Revenant“ und „Mission: Impossible – Fallout“ gesehen. Er trägt den Film auf seinen schmalen Schultern, wie seine Figur des Alfred jede Verantwortung trägt, die ihm zufällt. Joner selbst ist um die fünfzig Jahre alt. Sein Alfred ist zu Beginn des Films ein Mann in den Dreißigern, gegen Ende des Krieges ist er ein vor der Zeit gealtertes Wrack. Dazwischen lässt er uns die Zerstörung seiner Figur miterleben. Am Ende ist fraglich, wie viel von dem Mann und Vater übrig geblieben ist, der Alfred einmal war und ob dieses Bisschen reicht, um daraus wieder einen Mann und Vater zu schaffen.
 
Fazit
 
Echte Antikriegsfilme finden oft nur ein kleines Publikum. Vielleicht weil sie immer vor allem von Zerstörung handeln müssen. „War Sailor“ zeigt uns die Zerstörung vom Menschenleben und Menschen und verdient ein ganz großes Publikum. Einer der besten Filme des Jahres.
 
 
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