Und so lässt uns „Borga“ auch erkennen, wie dieser Druck und ihre Lebensumstände Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus in die Kriminalität geraten lässt. Wer ohnehin „illegal“ ist und sich kaum „legal“ über Wasser halten kann, muss sich zu illegalen Aktivitäten nicht lange überreden lassen. Dabei will uns dieser Film niemals belehren. Raabe und Körner lassen uns Lebensbedingungen erfahren, die wir uns kaum vorstellen können. Sie lassen uns Situationen erleben, in die wir niemals geraten möchten. Welche Schlüsse wir aus dieser Erfahrung ziehen, bleibt uns überlassen.
Anders als so viele andere Filme will uns „Borga“ nicht alles im Dialog erklären. Die Macher des Films halten sich an die goldene Regel „Show, don’t tell“. Und so werden uns wichtige Themen des Films in Bildern vermittelt. Väterliche Zuneigung erfahren wir während einer Fahrt auf einem Lastenmotorrad. Die Härte und Verzweiflung der familiären Situation sehen wir dann im Umgang mit Arbeitsunfällen und Diebstählen. Die fast klinische Atmosphäre eines teuren Hotels wird einer fröhlichen Familienfeier in einer ärmlichen Behausung gegenübergestellt. Die Kindheit in Ghana sehen wir in dynamischen Bildern, die Einsamkeit in Mannheim wird von einer fast statischen Kamera gezeigt.
Du wirst wissen, welche Regeln Du befolgst und welche nicht
„Borga“ ist ein Film für aufmerksames Publikum. Und je nachdem, wie aufmerksam das Publikum ist, hat der Film noch viele weitere Erfahrungen und Einsichten zu bieten. So kann man zum Beispiel feststellen, dass die einzigen Figuren des Films, die niemals betrügen, lügen oder stehlen, drei sehr unterschiedliche Frauen sind. Es sind die Männer, die sich von ihren altmodischen Geschlechterrollen in die Ecke treiben lassen. Die Frauen sind es, die stark genug sind mit Druck umgehen zu können, stark genug Verlust zu verarbeiten, stark genug vergeben zu können.
Natürlich ist Borga kein perfekter Film. Die immer wieder eingeblendeten Ortsangaben sind ein bisschen zu sehr „Hollywood“ und stören in diesem Film, der ja für ein aufmerksames Publikum gemacht ist, spätestens wenn wir „Kassel, Germany“ lesen ohne dass diese Ortsangabe irgendwie von Belang wäre. Die Methode, wie Drogenschmuggler ihr Schmuggelgut während der Reise verstecken ist nur halb korrekt dargestellt. Tatsächlich holt man die Ware nicht aus der gleichen Öffnung, in die man sie reingesteckt hat. Aber es wirkt vermutlich „filmischer“ einen Protagonisten über eine Schüssel gebeugt zu zeigen, als über einer sitzend.
Aber das alles ist nebensächlich, wenn eine großartige, berührende Geschichte nachvollziehbar erzählt wird. Dafür sorgt auch die hervorragende Besetzung. Eugene Boateng („Becks letzter Sommer“) spielt Kojo „sympathisch“ im ursprünglichen Sinne des Wortes. Wir können mit seiner Figur „mitfühlen“. Wenn Kojo sich freut, freuen wir uns mit. Wenn er verzweifelt ist, verzweifeln auch wir. Auch wenn wir nicht alles was Kojo tut gutheißen können, haben wir doch immer Mitgefühl mit ihm.
Mitgefühl mit Kojo hat auch die von Christiane Paul dargestellte Lina. Paul, bekannt durch Filme wie „Neues vom Wixxer“ oder „Die Vampirschwestern“, zeigt hier eine tief bewegende Darstellung einer klugen, emotional erwachsenen Frau, die auch verliebt weder Mädchen noch Weibchen wird, sondern immer eine erwachsene Frau bleibt.
Thelma Buabeng („Das Adlon“, „Heil“) bereichert den Film mit Ihrer Darstellung einer verständnisvollen Ladenbesitzerin um echte Güte und Wärme. Buabeng und Paul und bilden das emotionale Zentrum des Films. Sie sind der moralische Pol einer harten und mitleidslosen Welt.