We cannot let these people down
Das Drehbuch gibt den Darsteller*innen nur wenig mehr zu tun als erklärenden Dialog zu sprechen. Johnny Flynn („Die Täuschung“) als junger Nicholas Winton muss diesen Dialog besonders dringlich vortragen und Angst um die Kinder zeigen. Dasselbe gilt für die anderen Darsteller der Helfer von 1939. Helena Bonham Carter („Ocean’s 8“) darf als Mutter Winton dazu noch schlagfertig sein. Mehr gibt es aber auch für sie nicht zu tun.
Die großartige Lena Olin („Romeo is Bleeding“) verschwendet Ihr Talent in der Rolle von Nicholas Wintons Ehefrau unter einer Maske, die nur betont und nicht verbirgt, wie fehlbesetzt Olin ist. Jonathan Pryce („Ronin“) hat einen kurzen Auftritt und es gibt ein Wiedersehen mit Marthe Keller („Der Marathon-Mann“). Aber auch diese beiden Legenden tragen nur ihren Dialog vor und gehen dann ab.
Wenn der Film doch halbwegs sehenswert ist, dann unter anderem wegen Anthony Hopkins. Der spätere Sir Anthony konnte bereits in einem seiner ersten Spielfilme, „Der Löwe im Winter“, an der Seite von Legenden wie Peter O’Toole und Katharine Hepburn überzeugen. Seither haben wir ihn in einigen Meisterwerken („Das Schweigen der Lämmer“, „Was vom Tage übrig blieb“, „The Father“) gesehen, aber auch in Blockbustern („Bram Stoker’s Dracula“, „Transformers: The Last Knight“, „Thor: Tag der Entscheidung“) und in einigen wirklich misslungenen Filmen („Freejack“, „Bad Company“, „The Son“). Nicht nur in diesen misslungenen Filmen waren Hopkins Leistungen regelmäßig das Beste am ganzen Film.
Ich möchte unsere Leser*innen an „Die Brücke von Arnheim“ erinnern, ein überlanges Kriegsspektakel voller Heldenverehrung, undifferenzierter Gewaltdarstellungen und Sentimentalität in dem alles mitspielen durfte, was zum Zeitpunkt der Dreharbeiten Rang und Namen hatte. Michael Caine, Edward Fox, Dirk Bogarde und Sean Connery zeigten, dass britische Offiziere allesamt Gentlemen waren, während Robert Redford, James Caan, Elliott Gould und Ryan O’Neal als G.I.s natürlich alle Cowboys waren. Liv Ullmann und Sir Laurence Olivier zeigten uns, dass Zivilisten im zweiten Weltkrieg alle tapfer waren. Und alle gemeinsam zeigten uns, wie wenig Leistung man für sehr viel Gage erbringen konnte.
Inmitten dieser Riege von Weltstars und Legenden zeigte nur Anthony Hopkins eine sensible schauspielerische Leistung. Seine Darstellung des Offiziers, der sich um seine eingeschlossene Truppe sorgt, berührte uns als einzige menschliche Qualität dieses überlangen, überteuren Machwerks. Nur Hopkins hat es geschafft, zwischen all den Panzern, Flugzeugen, Explosionen und überbezahlten und unterforderten Hollywoodstars einen echten Menschen und seine Entwicklung auf die Leinwand zu bringen.
Genau diese Qualität Hopkins ist es, mit der er ganz allein auch „One Life“ vor der Mittelmäßigkeit rettet. Wie bereits beschrieben, hakt das Drehbuch nur die wichtigsten Punkte der Geschichte des gealterten Nicholas Winton der Reihe nach ab und liefert uns praktisch nichts, das uns diese Figur näher kennenlernen ließe. Wenn uns dieser feine, ältere Herrn trotzdem recht schnell vertraut wirkt, dann ist das allein Hopkins Verdienst.
Hopkins kann natürlich nicht die erzählerischen Lücken füllen. Die Geschichte seiner Figur bleibt ein Fragment. Der wikipedia-Artikel zu Nicholas Winton ist informativer als dieser Film. Aber Hopkins füllt ganz alleine die emotionalen Lücken des Drehbuchs. Mit feinsten Veränderungen seines Gesichts, kleinsten Bewegungen seines Körpers, kaum wahrnehmbaren Reaktionen auf sein Gegenüber und seine Umwelt, lässt er uns in jeder Szene mitfühlen, wie es seiner Figur gerade ergeht, wie sie sich fühlt. Wenn wir recht bald mit diesem alten Mann mitfühlen und ihn am liebsten gar nicht mehr verlassen möchten, dann nur weil Hopkins hier eine Darstellung zeigt, die das Drehbuch so gar nicht anbietet.
Hopkins Darstellung ist offensichtlich zum allergrößten Teil sein Werk. Das Drehbuch hat ihm dafür kaum mehr als ein Gerüst geboten. Und der ganze Rest des Films verrät, wie gering auch der Beitrag der Regie zu Hopkins‘ Leistung wohl zu bewerten ist. Wenn dieser Film doch noch sehenswert ist, dann nur wegen Hopkins‘ Darstellung. Wenn der Film doch noch interessant ist, dann nur weil Hopkins zeigt, was gute Schauspieler von großartigen Schauspielern unterscheidet. Großartige Schauspieler können sich selbst über schwaches Material erheben.