***Nerve***
Es ist ein spannendes Thema, dessen sich das Regie-Duo Henry Joost und Ariel Schulman hier angenommen hat. Denn oberflächlich ist „Nerve“ nur ein rasant erzählter Thriller, darunter brodelt es aber gewaltig. Weil dieser Film zu keinem besseren Zeitpunkt hätte kommen können. Er zeichnet das Bild einer digitalen Generation, die den Bezug zu ihrer Menschlichkeit zu verlieren droht – falls es nicht schon zu spät ist.
Der Blick auf sich selbst
Die Grundlage bildet Jeanne Ryans Roman, in der filmischen Umsetzung ist dem Stoff aber weit mehr gedient. Weil Bilder Macht bedeuten – und das umso mehr in einer Zeit, in der viele nur noch die Selbsterfüllung in Selfies und dem Pflegen des eigenen Profils in den sozialen Medien finden.
Das Spiel Nerve ist der letzte Schrei. Man kann wählen, ob man ein Watcher oder ein Player sein will – zuschauen oder mitmachen. Erstere entscheiden über die Herausforderungen, letztere meistern sie. Oder verlieren dabei und scheiden aus dem Spiel aus. Vee (Emma Roberts) ist eigentlich nicht die Art Mensch, die sich bei so einem Spiel als Player anmelden würde, aber nach einem Streit mit ihrer Freundin tut sie es doch. Die erste Herausforderung ist leicht: Sie soll einen Fremden fünf Sekunden auf den Mund küssen. Der Auserwählte heißt Ian (Dave Franco) und ist ebenfalls ein Player. Und weil die Watcher das Duo mögen, stellen sie ihnen beiden weitere Herausforderungen, die von Mal zu Mal mehr Geld bringen, aber auch immer gefährlicher werden. Das Spiel eskaliert.
Man fühlt sich unwillkürlich an „Pokemon Go“ erinnert. Auch hier sind die Spieler unterwegs, und wie im Film eskaliert es in der Wirklichkeit bisweilen, wenn irgendwo eingebrochen wird, um das Monster doch noch zu schnappen. „Nerve“ wiederum ist eher „Wahrheit oder Pflicht“, nur ohne die Wahrheit. Hier gibt es nur die Pflicht.
Eine verrohte Gesellschaft
Bei jeder Herausforderung werden die Player von unzähligen Handys beobachtet, filmen aber auch selbst. So direkt, so nahbar, so unerbittlich wie hier wurde der neue moderne Mensch, der zur Einheit mit seinem Handy zu verschmelzen scheint, niemals zuvor im Kino gezeigt. Es ist Sehen und gesehen werden, ein ewiges Zelebrieren der eigenen Existenz. „Nerve“ fungiert damit als bissiger Kommentar auf eine enthemmte Gesellschaft, die für ein Selfie auch andere über die Klinge springen lässt. Sei es, wenn ein Baby-Delfin so lange herumgereicht wird, bis er tot ist, oder Rettungskräfte angepöbelt werden, weil sie den klaren Blick auf die Unfallopfer versperren. Das ist die hässliche Seite der allumfassenden Digitalisierung. „Nerve“ prangert sie an.
Der Unterbau des Films ist famos. Er ist stark, er wirkt nach und er hat eine echte, wichtige Botschaft. Darüber hinaus funktioniert er aber auch oberflächlich. Als stimmiger, von Rasanz getragener Thriller, bei dem es auch um die Frage an das Publikum geht: Wie weit würdet ihr gehen? Wärt ihr überhaupt ein Player? Oder nur ein Watcher? Und macht sich der Watcher nicht letzten Endes genauso schuldig wie jeder Player, wenn etwas passiert?
Das gipfelt in einem kathartischen Finale, das den einen oder anderen vielleicht nachdenken lässt. Darüber, wo die Grenzen liegen, wo man vom Voyeur zum Teilhaber aufsteigt. Und welcher Preis damit einhergeht.
Das Spiel
Wenn es eine Schwäche an „Nerve“ gibt, dann nur, dass die Funktionsweise des Spiels etwas arg vereinfacht erscheint. Zwar ist es Ziel der Geschichte, alle Zuschauer zu Tätern zu machen, aber die Logistik dieses Games könnte so kaum funktionieren. Allein die Frage, wer das von den Watchern bezahlte und an die Player ausbezahlte Geld verwaltet, wäre hier schon zu nennen. Aber mit derlei Details hält sich „Nerve“ nicht auf.
Stattdessen überdeckt die Botschaft diese Gedanken, getragen von einem knackig-coolen Duo - Emma Roberts und Dave Franco!
Fazit
Spannender und cleverer Film, der weit vielschichtiger daherkommt, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Darüber hinaus ist er flott und spannend erzählt. Hier ist man gerne ein Watcher.
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