*** Aufbruch zum Mond ***

azm kritik
 
Autor: Walter Hummer
      
Aus der Geschichte von Neil Armstrong und seiner ersten Mondlandung hätte man verschiedene Filme machen können. Eine dramatische Filmbiografie zum Beispiel oder auch einen spannenden Actionfilm über eines der größten Abenteuer der Menschheit. Regisseur Damien Chazelle hat daraus ein dokumentarisches Kammerspiel gemacht.
 
42.700 Meter
 
Neil Armstrong war ein ruhiger, besonnener Mann. Er war ein bescheidener und zurückhaltender Mensch. Öffentliche Auftritte lagen ihm nicht besonders. Tatsächlich hatte er sich seine berühmten ersten Worte auf dem Mond vorher zurechtgelegt und sich im entscheidenden Moment dann doch versprochen. Was also war die Geschichte hinter diesem außergewöhnlichen Mann? Was hat ihn zu dem gemacht, was er war? Regisseur Damien Chazelle und sein Hauptdarsteller Ryan Gosling, das Dreamteam von „La La Land“, präsentieren uns ihre Version der Geschichte. Aber was ist das für ein Film, der in Venedig für den Goldenen Löwen nominiert und auf der anderen Seite des Atlantiks von der Kritik gefeiert wurde?
 
Wir sehen Armstrong zum ersten Mal, während eines Testflugs mit der X-15. Wir sehen eine Nahaufnahme eines Teils dieses Flugzeugs. Dann wechseln sich in einer längeren Sequenz Nahaufnahmen des Piloten in seinem Helm mit Nahaufnahmen des Cockpits aus dem Blickwinkel des Piloten ab.
 

Während der erfahrene Testpilot Mühe hat, das Flugzeug wieder in die Erdatmosphäre und auf den Boden zurückzubringen, sehen wir abwechselnd immer wieder nur diese Nahaufnahmen: das Helmvisier und das Cockpit. Das Flugzeug vom Typ X-15, dieses Wunderwerk der Technik, sehen wir erst in voller Größe nachdem es wieder auf dem Boden steht.
 
Eine ungewöhnlich gestaltete Eröffnungssequenz. Ein ganz anderer Einstig in diesen Film, als man ihn erwartet hätte. Jeder Filmfan, der nur ein beiläufiges Interesse an der Geschichte der Raumfahrt hat, kann sich noch an die Eröffnungssequenz von Philip Kaufmanns „The Right Stuff“ erinnern. Vor fünfunddreißig Jahren begann dieser Film mit einer epischen Nacherzählung von Chuck Yeagers erstem Flug durch die Schallmauer. Wir bekamen die weite Landschaft der Wüste rund um die Luftwaffenbasis zu sehen. Wir sahen das riesige Trägerflugzeug und wie winzig die X-1 im Vergleich dazu wirkte. Wir konnten sehen, wie dieses Geschoss von seinem Piloten über den endlosen Himmel gejagt wurde, schneller und immer schneller. Wir sahen all das und noch viel mehr bereits in den ersten zwanzig Minuten des Films. „Aufbruch zum Mond“ zeigt uns in seinen 141 Minuten keine vergleichbaren Bilder.
 
Extreme close ups
 
Die Bildsprache von „Aufbruch zum Mond“ ist ebenso originell wie mutig. Wie soll man es sonst nennen, wenn sogar eine Szene, in der sich Armstrong bei einem Testflug der Mondlandefähre mit dem Schleudersitz retten muss, fast ausschließlich in Nahaufnahmen gezeigt wird? Bei der Landung mit dem Fallschirm werden praktisch nur die Beine des Protagonisten gezeigt. Dass er sich dabei schwere Verletzungen zugezogen hat, erfahren wir erst in der folgenden Einstellung, weil wir Ryan Goslings blutigen Kopf in Nahaufnahme zu sehen bekommen.
 
Selbstverständlich spricht nichts gegen gut gemachte Nahaufnahmen. Und sowohl die vielen Nahaufnahmen als auch die wenigen Totalen und Halbtotalen in diesem Film sind ja auch wirklich sehr gut gemacht. Die Kameraarbeit ist von hervorragender Qualität. Aber es fehlt ihr eine gewisse künstlerische Qualität. Die Bilder wirken nüchtern und dokumentarisch. Wenn wir, wie so oft, die Gesichter von Gosling oder einem der anderen Darsteller in Nahaufnahme sehen, dokumentieren die Bilder nur. Sie bilden das Geschehen aus nächster Nähe ab. Aber diese Bilder erzählen kaum eine Geschichte. Und sie zeigen selten etwas Großes. In einem Film über die Raumfahrt, sehen wir kaum jemals beeindruckende Bilder.
 
So wird zum Beispiel die Mission „Gemini 8“ in aller Ausführlichkeit gezeigt. Das ist durchaus angebracht, weil hier zum ersten Mal zwei Raumfahrzeuge im All aneinandergekoppelt wurden. Von dem Koppelmanöver selbst sehen wir aber nur zwei kurze Einstellungen von außen. Der ganze Rest dieser Sequenz besteht aus Nahaufnahmen. Und während der geschichtsträchtigen „Apollo 11“-Mission sehen wir nur ein einziges großes Mondpanorama. Die Landung des „Eagle“ bekommen wir wieder nur im Inneren der Mondlandefähre zu sehen.
 
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Nahaufnahmen sind ein probates Mittel, um die Emotionen einer Figur zu vermitteln. Dazu müsste sich auf dem Gesicht der Figur aber etwas tun. Es müsste etwas zu sehen sein. Leider bekommen wir hier wieder den teilnahmslosen Ryan Gosling zu sehen, wie wir ihn zum Beispiel aus „Drive“ kennen. Sein Minenspiel verrät so gut wie nichts über die Figur und was in ihr vorgeht.
 
Auch sonst lässt uns der Film nicht viel über Neil Armstrong erfahren. Der Film ignoriert die Kindheit der Hauptfigur völlig. Armstrongs Kriegsdienst wird bloß einmal kurz erwähnt. Tatsächlich hat er bei der Navy Dutzende Einsätze im Koreakrieg geflogen und musste sich dort sogar einmal mit dem Schleudersitz retten. Davon erfahren wir im Film aber nichts. Wir sehen, wie Armstrongs einzige Tochter als kleines Kind stirbt. Danach meint er, das verstorbene Kind einmal auf der Beerdigung eines Kameraden zu sehen. Aber diese Szene führt im weiteren Verlauf der Handlung nirgendwo hin und bleibt daher isoliert stehen. Die zwei Söhne sehen wir so selten, dass sie in fast jeder ihrer Szenen von anderen Kinderschauspielern gespielt werden müssen.
 
Die großartige Claire Foy („Unsane“, „Solange ich atme“) versucht in der Rolle von Armstrongs Ehefrau ständig, diesem Mann eine emotionale Reaktion zu entlocken. Kein Wunder, wenn sie vor allem frustriert wirkt. Wozu also all diese Nahaufnahmen, wozu die Konzentration auf die Hauptfigur, wenn wir doch fast nichts über diesen Menschen erfahren?
 
First Man
 
Vielleicht wollen die Filmemacher uns zeigen, wie Armstrong und die anderen frühen Astronauten gerade deshalb tun konnten, was sie getan haben, eben weil sie keine großen Redner waren. Vielleicht sollen die vielen Nahaufnahmen des Helden und der technischen Details uns vermitteln, wie Armstrong und seine Kameraden sich stets auf sich selbst und eben diese Details konzentriert haben. Diese Männer konnten im Angesicht unvergleichlicher Gefahr ruhig bleiben, eben weil sie ihre Emotionen unter Verschluss hielten.
 
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Dramen über Männer, die sich ihren Emotionen nicht stellen und diese nicht mitteilen können, gehören mit zum Schwierigsten, was man auf die Kinoleinwand bringen kann. Und gefällig sind solche Filme natürlich auch nicht. Es hat seine Gründe, warum sich heute kaum mehr jemand an Robert Duvalls großartige Darstellung eines solchen Mannes in „The Great Santini“ erinnert. Und über „The Deer Hunter“ wird auch mehr in Büchern über das Filmemachen gelesen, als dass sich jemand diesen Film tatsächlich ansehen würde.
 
Am besten funktionieren Filme wie diese noch, wenn der Held eine echte Entwicklung durchmacht. Aber eine solche Entwicklung bekommen wir in „First Man“ (so der Originaltitel von „Aufbruch zum Mond“) leider nicht gezeigt. Armstrong ist am Ende des Films ein ebenso unzugänglicher, verschlossener Mann wie zu Beginn der Geschichte. Über den Menschen erfahren wir während der 141 Minuten dieses Films nicht viel. Bloß, dass er auf den Mond geflogen ist.
 
Fazit
 
Man kann verstehen, warum die Kritik diesen Film feiert. Er ist technisch hervorragend gemacht und die Ernsthaftigkeit von Ryan Goslings Spiel wirkt sehr überzeugend. „First Man“ ist wirklich ein sehr guter Film. Für einen besonderen Film, fehlt es ihm aber vor allem an Dramatik.
 
 
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