Brother, mine
Eine Figur oder ein Schauspieler allein kann einen mittelmäßigen oder misslungenen Film nicht retten. Aber manchmal bekommt man in mittelmäßigen oder misslungenen Filmen eine Darstellung zu sehen, die einfach zu gut für den jeweiligen Film ist. Sowohl der Regisseur James Glickenhaus als auch sein Werk sind heute aus gutem Grund vergessen. Aber in „Blue Jean Cop“ von 1988 hatte der großartige, unterschätze Charakterdarsteller Sam Elliott drei oder vier starke Szenen. In der besten davon erzählt er die komplett bescheuerte und trotzdem rührende Geschichte einer verlorenen Liebe so überzeugend, dass man ihm einen Ehren-Oscar für die beste Leistung in einem billigen B-Movie verleihen möchte.
Oder, um die Leser nicht bloß mit obskuren Fußnoten der Filmgeschichte zu verwirren, denken wir kurz an „Dark Shadows“ von 2012, einen von vielen Filmen, in denen Tim Burton Johnny Depp in ein schrilles Kostüm gesteckt und nebenbei seine aktuelle Lebensabschnittspartnerin mit Arbeit versorgt hat. Eva Greens Performance hat damals fast, aber leider nur fast, ausgereicht, diesen Film zu retten. Und damit ich nicht immer über Eva Green schreibe (als wäre das verkehrt), noch ein paar andere Beispiele: Sowohl Anna Kendrick in „Twilight – Biss einer weint“ als auch William Fichtner in „Drive Angry“ haben in einigen wenigen Szenen Leistungen gezeigt, die einfach zu gut für die jeweiligen Filme waren.
Warum langweile ich unsere Leser mit diesem Exkurs in die Filmgeschichte? Weil wir auch in „The Ice Road“ eine solche Leistung zu sehen bekommen. Nicht von Liam Neeson, dessen Darstellung des Qui-Gon Jinn in „Episode 1“ vielleicht auch ein gutes Beispiel für diese Liste wäre, der aber hier bestenfalls eine passable Leistung in einer klischeehaften Rolle zeigt.
Und auch weder die Rolle noch die Leistung von Laurence Fishburne bescheren diesem Film einen Platz auf unserer Liste. Fishburne war mal ein hervorragender Charakterdarsteller in Filmen wie „Tina – What’s love got to do with it“ oder „Othelllo“. Seine Leistung in „The Ice Road“ erinnert aber eher an seine vielen Nebenrollen in Werken wie „Mission: Impossible III“, „Predators“ oder Zack Snyders „Superman“-Filmen.
Die noch recht unbekannte Amber Midthunder wirkt sympathisch als amerikanische Ureinwohnerin, die einen der Trucks fährt. Dafür wirkt Benjamin Walker („Abraham Lincoln Vampirjäger) vergleichbar unsympathisch als Versicherungsexperte mit eigenen Plänen. Aber keine dieser Leistungen wäre zu gut für diesen Film.
Es ist die Rolle des Gurty, des Bruders der von Neeson verkörperten Hauptfigur und seine Darstellung, die „The Ice Road“ dann doch noch interessant werden lassen. Dieser Gurty ist ein Veteran des Irak-Kriegs, der an Aphasie leidet. Nur sein Bruder kann den Sinn seiner wirr erscheinenden Sprache entschlüsseln. Man muss es Drehbuchautor Hensleigh hoch anrechnen, dass er die Figur des Gurty nicht als lallenden, verwirrt in die Welt glotzenden Idioten geschrieben hat. Der Mann ist abgesehen von seiner Sprachstörung ein kompetenter Mechaniker und aufmerksamer Beobachter. Mehr als einmal während des Films ist Gurty der einzige oder erste, der wahrnimmt, was gerade passiert und mit seinen Reaktionen Schlimmeres verhindern kann.
Der weitgehend unbekannte Darsteller Marcus Thomas hat vor zwanzig Jahren in „Der Fall Mona“ schon einmal eine sehr schwierige Rolle gespielt, ist seither aber kaum weiter aufgefallen. Der Schauspieler, für den es bisher nicht einmal einen eigenen wikipedia—Artikel gibt, spielt Gurty als einen aufmerksamen Menschen mit stiller Würde und immenser innere Stärke. Dieser Mann ist sich seiner Einschränkung bewusst, will sich davon aber nicht beschränken lassen. In einem Film der sich damit begnügt mit bescheidenem Aufwand, überholte Filmklischees zu pflegen, ist es diese Figur, die frisch, unverbraucht und zutiefst menschlich und realistisch wirkt.
Marcus Thomas lässt uns mit seiner Leistung überhaupt erst emotionalen Anteil am Geschehen auf der Leinwand nehmen. Nur wegen seiner Figur kommt überhaupt Spannung auf, weil wir wissen wollen, ob Gurty am Ende seinen „Truck Truck Truck“ bekommt. Wenn es einen Grund gibt, sich diesen in jeder anderen Hinsicht absolut mittelmäßigen Film anzusehen, dann seinetwegen.