Das soll nicht heißen, Jäger würde uns keine schönen Bilder oder interessante Figuren bieten. Aber wir sehen nur, was für Hannah von Belang ist. Und so hat dieser doch recht anspruchsvolle Film manchmal leider etwas von einer Kolportage. An einigen Stellen erinnert der Film mehr an „Lindenstrasse“ als an „Einsam irrend nach dem Glück …“, hat mehr von Hans W. Geißendörfer als von Erich Mühsam.
Immer wieder verstärken ärgerliche Fehler noch den Eindruck eines Frauenschicksalsdramas fürs Fernsehen. Mehr als einmal fallen die Szenenübergänge arg plump aus. Vor allem wenn man so ausgiebig mit Rückblenden arbeitet wie Jäger es hier tut, sollten die verschiedenen Sequenzen nicht einfach aneinanderstoßen wie Güterwagons auf dem Rangierbahnhof. Manchmal wirkt die Regie ein wenig ungelenk. Der erste Ehevollzug soll lieblos wirken, wirkt aber eher unfreiwillig komisch.
Zuweilen klingen die Dialoge unnötig erklärend. Zum Beispiel hätte eine Wienerin 1906 auf die Frage nach ihrem Heimatland niemals „Österreich-Ungarn“ geantwortet, auch wenn das inhaltlich korrekt gewesen wäre. Mehr als einmal fehlt ein wenig Gespür für die Zeit der Handlung. Ein Herr aus besserer Gesellschaft hätte zu Beginn des letzten Jahrhunderts seinen schwarzen Geschäftsanzug niemals zum Rudern getragen. Am Schluss hätten dann zwei oder drei eingeblendete Texttafeln gereicht. Fünf Stück sind ein bisschen arg viel und nehmen dem Film etwas von seiner Wirkung.
Doch dann machen die Filmemacher wieder alles richtig. Die Frauen im Film sprechen miteinander, statt nur von sich. Sie sprechen über einander und über sich, statt bloß über Männer. Sie sprechen über Praktisches, wie die Finanzierung der Kolonie und über Philosophisches, wie das Leben mit der Natur. Denn es sind die Frauenfiguren, die diesen Film tragen. Anders als in so vielen anderen Filmen, sind hier einmal die männlichen Figuren bloße Stichwortgeber und Handlungselemente. Während die Männer fordern und penetrieren, sind es in diesem Film die Frauen, die handeln. Und sie sind es auch, die am Ende entscheiden.
Und es ist diese Entscheidung der Heldin, die „Monte Verità – Der Rausch der Freiheit“ dann doch von den üblichen Frauenschicksalsfilmen unterscheidet. In einem Film über einen Ausbruch aus einem altmodischen Patriarchat, darf eine moderne Frau nicht nur eine moderne Entscheidung treffen, sie muss eine moderne Entscheidung treffen. „Monte Verità“ bietet kein billiges Happy-End für alle, sondern etwas viel Wertvolleres. Das Ende verheißt Hoffnung. Die Hoffnung einer neuen Zeit. So wird der Ausbruch am Ende zum Aufbruch. So bleibt dieser Film sich selbst treu.
Gib dem Berg ein bisschen Zeit
Wie erwähnt, erzählt der Film nicht die Geschichte der Kolonie, sondern die Geschichte einer Frau. Und deshalb muss Maresi Riegner („Egon Schiele: Tod und Mädchen“) diesen schwierigen Film und seine Handlung ganz allein auf ihren schmalen Schultern tragen. Wenn sie dabei strauchelt trägt das zur Wirkung bei. Wenn sie überfordert wirkt, ist das stimmig, weil ihre Hannah überfordert ist. Bloß die Entwicklung ihrer Figur am Ende des Films gerät etwas zu flott und zu glatt.
Der Schweizer Joel Basman („Tides“) gibt eine gefällige Imitation Hermann Hesses. Max Hubacher („Der Verdingbub“) hätte eine der interessantesten Rollen des Films spielen können. Leider hatte Autorin Kornelija Naraks keinerlei Interesse an seiner Figur des Freud-Schülers Otto Gross. Und so hat Hubacher fast nichts, womit er arbeiten könnte.
Denn es sind immer wieder die Frauen, die diesen Film interessant machen. Julia Jentsch („Effi Briest“)vermittelt eine enorme innere Kraft als Ida Hofmann. Hofmann war Pianistin, Pädagogin, Schriftstellerin und Mitbegründerin der Kolonie. Von Jentsch dargestellt ist diese Figur all das und noch mehr. Jentsch vermittelt, wie diese Frau die ganze Kolonie zusammen und am Leben erhält.
Die interessanteste Leistung des Films bietet aber Hannah Herzsprung („Der Vorleser“). Ihre Lotte Hattemer ist gleichzeitig schwach und die stärkste Figur des Films. Zurückgezogen in ihrem Verschlag liebt sie die ganze Welt. Selbstmordgefährdet lebt sie intensiver als andere Menschen. Leidend ist diese Figur doch das emotionale Zentrum des Films. Herzsprung vermittelt in wenigen Szenen eine Frau, die vielleicht zu viel in sich hatte um es in bloß einem Leben auszuleben. Am Ende wünscht man sich einen weiteren Film über Lotte Hattemer, mit Hannah Herzsprung in der Hauptrolle.