Und so funktioniert der Film immer dann am besten, wenn er uns vermittelt wie Jessica die Welt sieht. Wunderbar berührend ist eine Szene, in der Jessicas Vater sie belehren will, wie unwichtig das Aussehen eines Menschen ist. „Im Leben zählen andere Dinge.“ „Welche denn?“ fragt das Mädchen. Als der Vater nicht antwortet, erkennt man die Hilflosigkeit des Erwachsenen, wenn seine Plattitüden hinterfragt werden.
„Kleinere Unverträglichkeiten sind völlig normal“
Leider kann der Film dieses Niveau nicht über seine ganze Länge halten. Das Drehbuch bietet großartige Dialoge und erfrischende Szenen, die ohne große Theatralik ihre Wirkung entfalten. Aber manche Teile des Drehbuchs wirken dann doch unausgereift. Die Szenen mit Jessicas Therapeuten hätten dringend überarbeitet werden müssen. Eine Szene mit einem Bibliothekar funktioniert gar nicht und bereitet beim Zusehen Unbehagen.
Auch die Regie zeigt immer wieder Schwächen. Einige Szenenübergänge sind so abrupt, dass man sich fragt, ob hier etwas herausgeschnitten wurde. Wieso sitzt Jessica an einer Stelle im Auto der Nachbarin? Wieso läuft sie plötzlich zu einem Mitschüler nach Hause, den wir zuvor nur einmal gezeigt bekommen haben? Wieso sieht das Hemd des Vaters plötzlich ganz anders aus?
Aber oft genug zeigt uns Regisseurin Anca Miruna Lăzărescu wieder Bilder von herrlich unaufgeregter Schönheit. Der Hintergrund der westfälischen Provinz wirkt alltäglich, bis man das Verschrobene dieser Umwelt erkennt. Eine Szene mit einem Wildschaden passiert ebenso plötzlich und unangekündigt wie das auch im realen Leben der Fall wäre und bekommt dadurch eine enorme Wucht. Die anschließende Verzweiflung des Vaters berührt uns auf mehreren Ebenen. Ein Stabhochsprung in die Sonne vermittelt Hoffnung.