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Kritik: Like A Complete Unknown

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Autor: Walter Hummer
 
Mit “Walk the Line” hat James Mangold vor 20 Jahren sicher nicht die authentischste aber trotzdem eine der besten Musikerfilmbiografien der Filmgeschichte gedreht. Kann er diesen Erfolg nun wiederholen?
 
Once upon a time you dressed so fine …
 
Der junge, noch unbekannte Bob Dylan kommt nach New York um den schwerkranken Woody Guthrie zu besuchen, lernt an dessen Krankenbett Pete Seeger kennen, hat erste Auftritte, lernt Joan Baez und andere Frauen kennen, feiert bald Erfolge, legt sich ein Motorrad zu, tritt beim Newport-Folk-Festival auf und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte ….
 
James Mangolds „Walk the Line“ ist für mich der Maßstab für gelungene Musikerfilmbiografien. Zum einen hat „Walk the Line“ es geschafft, Menschen zu begeistern, die zuvor kaum etwas oder gar nichts von Johnny Cash, seiner zweiten Ehefrau June Carter und ihrer gemeinsamen Geschichte wussten. Das Drama um einen getriebenen, aber schwachen Mann und eine starke Frau die füreinander bestimmt waren, konnte Filmfans überall auf der Welt erreichen.
 
Zum anderen hat Mangold sowohl als Regisseur als auch als Co-Autor damals immer genau den richtigen Ton getroffen. Vor zwanzig Jahren hat er stets die Balance zwischen Authentizität und Drama gehalten, wie es kaum einem Filmemacher bei einem vergleichbaren Projekt gelungen ist. Joaquin Phoenix war einen Kopf kleiner als Johnny Cash und Reese Witherspoon sah kein bisschen aus wie June Carter. Aber beide haben das Wesen ihrer Vorbilder kongenial eingefangen und eine ohnehin schon wunderschöne Geschichte noch schöner erzählt als sie sich tatsächlich zugetragen hat. Mangold hat sich damals immer wieder an einem Zitat aus einem weiteren Film-Meisterwerk orientiert, „When the legend becomes fact, print the legend“.
 
 
Nur Kenner wussten, Cash hat seine Drogenprobleme, anders als in „Walk the Line“ gezeigt, leider nicht einfach hinter sich gelassen, als seine June ihn endlich erhört und geheiratet hatte. Aber dem größten Teil des Publikums hätte ein solches Ende damals das Filmerlebnis verdorben. Und für die Fans gab es Szenen wie die, in der Shooter Jennings seinen damals bereits verstorbenen Vater darstellen durfte. Und zwar mit Bart und langem Haar, genauso wie Fans Waylon Jennings in Erinnerung hatten und nicht glatt rasiert und mit akkuratem Kurzhaarschnitt, wie er zur Zeit der Handlung tatsächlich ausgesehen hat.
 
So findet Mangold auch in „Like A Complete Unknown“ einen wunderschönen Einstieg in seinen Film, wenn er Bob Dylan 1961 nach New York City kommen lässt, weil er in der Zeitung von der Einlieferung seines Idols Woody Guthrie ins Krankenhaus gelesen hat und dabei ignoriert, dass die Folk-Legende zu dem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren im dort gelegen hatte. Auf die Art findet das Publikum in die Geschichte und erwärmt sich für den Helden. Und wir alle können Dylans Frustration nachvollziehen, wenn er auf seiner ersten Langspielplatte nur Coverversionen bekannter Folk-Songs zum Besten geben darf, obwohl in Wahrheit zwei der dreizehn Lieder sehr wohl von Dylan selbst verfasst waren.
 
Diese und andere künstlerische Freiheiten sind für den Film dringend nötig. Sie stellen nämlich das einzige Mittel dar, mit dem Mangold und sein Co-Autor Jay Cocks („Silence“, „Strange Days“) das größte Defizit ihres Drehbuchs auszugleichen versuchen, die wenig sympathische Hauptfigur. Joan Baez bringt es in diesem Film recht bald auf den Punkt, wenn sie Dylan erklärt „You’re acting like a jerk“.
 
Der Held eines Films kann sich natürlich wie ein Trottel benehmen. Aber dann muss uns der Film Gründe dafür liefern. Leider erfährt das Publikum in „Like A Complete Unknown“ niemals warum Dylan sich so benimmt, wie er es immer wieder tut. Vielleicht war es ein Fehler der beiden Autoren, uns Dylans Kindheit und Jugend und damit seine prägenden Jahre nicht zu zeigen. In „Walk the Line“ hat die traumatische Kindheit aus Johnny Cash einen Getriebenen werden lassen, den sein früher Erfolg nicht zur Ruhe kommen ließ. Zwanzig Jahre später können wir leider gar nicht nachvollziehen, warum der junge Bob Dylan sich wie ein Trottel benimmt.
 
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Vielleicht ist Bob Dylan einfach eine schwierige Wahl als Hauptfigur eines solchen Films. Johnny Cash war immer cool und trotzdem sympathisch. Selbst wenn er Unsinn wie „Chicken in Black“ gesungen hat. Er ist in der „Muppet Show“ aufgetreten. Und Inspektor Columbo hat es richtig leidgetan, ihn am Ende verhaften zu müssen. Cash war ein Kerl wie wir ihn alle als Freund haben wollten. Bob Dylan ist der Typ, der im Musikvideo zu „We are the World“ die Chorpassagen einfach nicht mitsingt. Vor einigen Jahren hat er erst so getan, als hätte er 14 Tage lang nicht mitbekommen, dass man ihm den Nobelpreis verliehen hat und ihn dann ein halbes Jahr nicht abgeholt. Wieder bringt es Joan Baez auf den Punkt: „You’re kind of an asshole, Bob“.
 
So gesehen ist die Oscar-Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch weitgehend gerechtfertigt. Die beiden Autoren haben es geschafft, aus diesem merkwürdigen, unzugänglichen Menschen den Helden einer interessanten, spannenden Filmbiografie zu machen. Zuseher die bisher nur wenig von Bob Dylan wussten, merken ohnehin nicht, wie stark fiktionalisiert das Ganze ist. Und selbst echte Fans können sich über das Wiedersehen mit berühmten Zeitgenossen und Weggefährten freuen oder jedes Mal zusammenzucken, wenn der junge Dylan wieder mal wie ein Trottel mit seinem Motorrad fährt.
 
How does it feel?
 
Auch die Nominierung für den Oscar für die beste Regie geht völlig in Ordnung. Natürlich ist das New York der frühen Sechziger ein bisschen zu schön und zu sauber, um hundertprozentig authentisch zu wirken. Aber der Look des Films ist zauberhaft und schnell gewinnt das Publikum ein Gefühl für diese ganz spezielle Zeit des Umbruchs (oder eben für die fiktionalisierte Version dieser Zeit).
 
Ebenso wie bereits bei „Walk the Line“ ist die großartige Arianne Phillips wieder für das Kostümdesign verantwortlich. Wie damals oder auch bei „Once upon a time in Hollywood …“ schafft sie wieder den Spagat zwischen einem authentischen Look und einer Coolness, mit der sie die Darsteller*innen teilweise sehr viel besser aussehen lässt als ihre Vorbilder.
 
Monica Barbaro („Top Gun: Maverick") wirkt in diesem Film sehr viel erotischer und energischer als man Joan Baez vielleicht in Erinnerung haben mag. Aber ihre Darstellung ist absolut stimmig und bereichert den Film ungemein. Elle Fanning („Maleficent“) bleibt etwas zu farblos in der Rolle einer Figur, die offensichtlich Suze Rotolo sein soll, aber aus irgendeinem Grund im Film nicht so heißt. Diese Entscheidung der Filmemacher kommt überraschend, sind doch andere Weggefährten Dylans oder ihre Bedeutung mindestens ebenso fiktionalisiert worden.
 
So zum Beispiel Pete Seeger, der hier von Edward Norton dargestellt wird. Norton ist zwar etwas zu alt für den Part, vermittelt aber sehr gut die Freundlichkeit und Würde seines Vorbilds. Seine Oscar-Nominierung als bester Nebendarsteller gebührt aber tatsächlich dem großartigen Scoot McNairy („Speak No Evil“) in seiner fast stummen Rolle als todkranker Woody Guthrie. Boyd Holbrook arbeitet nach „Logan“ und „Indiana Jones und die scheißdämliche Zeitreise“ zum dritten Mal mit James Mangold zusammen und gibt einen wirklich überzeugenden Johnny Cash ab.
 
Der Star dieses Films ist natürlich Timothée Chalamet. Nachdem er in „Star Wars auf Valium“ (auch unter dem Namen „Dune“ und „Even more Dune“ bekannt) komplett fehlbesetzt war, spielt er hier eine Rolle, die zu spielen er geboren wurde. Man kann sich beim besten Willen keinen anderen Schauspieler als jungen Bob Dylan vorstellen (sorry, Cate Blanchet). So wie sich seine Figur nur um sich selbst dreht, dreht sich der ganze Film um Chalamets Darstellung. Sollte er demnächst den Oscar als bester Hauptdarsteller gewinnen, muss Chalamet bitte unbedingt zwei Wochen lang so tun, als hätte er davon gar nichts mitbekommen.
 
Fazit
 
“Like A Complete Unknown” ist eine gelungene Musikerfilmbiografie mit Detailschwächen. Viel wichtiger ist aber, “Like A Complete Unknown” ist ein extrem gelungenes, unterhaltsames Drama, das auch Filmfans ansprechen wird, die bisher nicht wussten, wer einige der größten Hits der Byrds geschrieben hat.
 
 
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