Die Stärke von Mortensens Drehbuch liegt in der Unterschiedlichkeit des Umgangs seiner Charaktere mit Erlebtem. Beide Hauptfiguren sind bereits zu Beginn des Films Kriegs-Überlebende. Vivienne hat ihren Vater früh verloren. Und Olsen war bereits für sein Heimatland in den Krieg gezogen (das muss übrigens der Erste Schleswig-Holsteinische Krieg von 1848 – 1851 gewesen sein. Bitte, gern geschehen.). Der Mann und die Frau sind von Anfang an beide sehr starke, aber auch unterschiedliche Menschen. Im Verlauf des Films gehen sie mit der erneuten Erfahrung von Krieg und Gewalt beide wiederum unterschiedlich um.
Mortensen zeigt diese Geschichte von Konsequenzen und Folgen von Gewalt und den Umgang der Menschen damit in wunderschönen, schnörkellosen Bildern und zeigt sich als visuell sehr geschickter Filmemacher. Die Handlung wird nicht linear erzählt. Manchmal sehen wir nur einzelne Szenen, die früher oder später spielen. Trotzdem können wir diese sofort einordnen. Der Film wirkt zum größten Teil sehr homogen und hat einen wunderbaren Fluss.
This is it? (Spoiler)
Vielleicht hätte Mortensen mehr Vertrauen in seine Bilder haben sollen. Mehrmals im Film entscheidet er sich, uns etwas im Dialog erzählen zu lassen, statt es uns einfach zu zeigen. Und das ist jedes Mal die falsche Entscheidung. Wenn Olsen Vivienne auf ihr Geschick bei der Jagd anspricht und wir die Frau zuvor gar nicht bei der Jagd gesehen haben, wirkt das ungeschickt und passt so gar nicht zum größten Teil des Films.
Aber auch die Bilder fallen nicht immer gleichermaßen überzeugend und stimmig aus. Wenn ein Dorftrottel mit dem mächtigsten Mann der Stadt am Pokertisch sitzt, ergibt das keinen Sinn und man fragt sich, ob der Film nicht ausreichend Budget für weitere Darsteller hatte. Ein Soldat, der seinen Orden wegwirft, ist eines der abgeschmacktesten Bilder der Filmgeschichte. Und eine Figur immer wieder von einem Ritter in schimmernder Rüstung träumen zu lassen, nur damit diese Figur am Ende erkennt, dass der Ritter sie selbst war, verdient vielleicht nicht gleich den diesjährigen Darren-Aronofsky-Preis für subtile Filmkunst, eine lobende Erwähnung ist dem Film damit aber sicher.
(Ich habe übrigens eine dringende Bitte an alle Leser*innen, die sich „The Dead Don’t Hurt“ im Kino ansehen werden. Ich brauche nämlich Hilfe bei der Klärung der folgenden Frage: Bin ich bescheuert oder kam mir das Schwert des Ritters in diesem Film bekannt vor? Ich will nicht zu viel verraten, aber kann es sein, dass Viggo Mortensen Requisiten aus anderen Filmen behält um sie später wiederzuverwenden? Bitte um Widerspruch oder Bestätigung in den Kommentaren.)
Birds of a feather
Uneingeschränkt gelungen ist die Besetzung des Films. Viggo Mortensen war bereits ein interessanter Charakterdarsteller bevor er mit diesem Dreiteiler über Wanderungen durch Mittelerde und die schwierige Entsorgung alten Goldschmucks weltberühmt wurde. Sein Gesicht sieht mit fünfundsechzig Jahren mehr denn je aus, als wäre es für den Einsatz in Western geschnitzt worden. In den meisten seiner Szenen „spielt“ Mortensen kaum noch, er „wirkt“ vor allem.
Mortensen hat in seinem (sicher mit überschaubarem Budget gedrehten) Film viele dieser typischen, kompetenten, ewigen Nebendarsteller besetzt, deren Gesichter wir alle kennen, auch wenn uns die Namen nicht einfallen wollen. Garret Dillahunt war bereits in so vielen Filmen als Mistkerl zu sehen, dass er in „The Road“ sogar schon mal ein Mistkerl in einem Film mit Viggo Mortensen war.
Danny Huston („Angel has Fallen“) ist in seiner Paraderolle als skrupelloser Strippenzieher zu sehen. Ray McKinnon zeigt sein ganz besonderes Profil, wie auch bereits in Filmen wie „Le Mans 66 – Gegen jede Chance“, wieder in einer dieser kleinen aber wichtigen Nebenrollen, die er so oft zu spielen hat.
Die große Überraschung des Films ist der junge, noch recht unbekannte Solly McLeod. Viggo Mortensen hat die Rolle eines verwöhnten, korrumpierten Drecksacks hart an die Grenze zwischen Archetyp und Klischee geschrieben. McLeod macht das Beste daraus und spielt in seinen wenigen Szenen die erfahrenen Schauspielkollegen an die Wand.
Wenn der Trailer so tut, als wäre Mortensens Olsen die Hauptfigur des Films, ist das nicht der einzige irreführender Fehler des Trailers. Vivienne ist die Hauptfigur des Films. Und Vicky Krieps ist der Star von „The Dead Don’t Hurt“. Und das absolut zu recht.
Vicky Krieps hatte ihren internationalen Durchbruch in „Der seidene Faden“, als sie sich von der schüchternen Nebenfigur neben Daniel Day-Lewis zum Mittelpunkt des Films mausern konnte. Sie war fantastisch in „Corsage“, als sie mit ihrer Darstellung jede Konvention und Erwartung durchkreuzte. Zuletzt war sie eine grandiose Fehlbesetzung in „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“. Wenn man sich Krieps Arbeit in diesen Filmen und auch in ihrem aktuellen Film genau ansieht, könnte man teilweise eine gewisse Entwicklung ihrer Arbeitsweise vom „Spielen“ zum „Aufspielen“ feststellen. In „The Dead Don’t Hurt“ bildet dieses leichte „Aufspielen“ einen großartigen Gegenpol zum verhaltenen Spiel ihres Filmpartners und ist noch nicht zu viel. Noch nicht.