Dazu trägt auch die hervorragende Kameraarbeit des gebürtigen Persers Darius Khondji bei. Khondji hat unter anderem David Finchers „Sieben“, Alan Parkers „Evita“, Roman Polanskis „Die neun Pforten, Danny Boyles „The Beach“ und Michael Hanekes „Liebe“ auf Zelluloid gebannt. In „Mickey 17“ lässt er uns in wunderschönen, niemals plakativen Bildern, die Weite des Weltraums und die Enge des Raumschiffs erleben. Er vermittelt die Unwirtlichkeit eines fremden Planeten und die friedliche Übermacht seiner Bewohner. Großartig funktionieren auch das ebenso schräge wie realistische Production Design von Fiona Crombie („The Favourite“, „Cruella“) und die originellen Kostüme von Catherine George („Snowpiercer“).
That’s some crazy technology
„Mickey 17“ ist wirklich herrlich anzusehen. Aber selten hätte ein Drehbuch dringender nochmal (mehrmals?) überarbeitet werden müssen. Recht bald im Laufe des Films kann man beim besten Willen nicht mehr ignorieren, wie viele Teile der Handlung keinen rechten Sinn ergeben. Warum kann sich Mickey an seine früheren Tode erinnern, wenn seine neuen Versionen doch Kopien seiner allerersten Version sind und wir sogar gezeigt bekommen wie sein Gedächtnis, seine Persönlichkeit und anderes im Labor abgespeichert wurden und nicht erst bei seinem wiederholten Ableben? Warum haben verschiedene Versionen von ihm bereits direkt nach der Erzeugung unterschiedliche Persönlichkeiten?
Während die Hauptfigur (oder ihre Versionen) in ihren Grundzügen noch halbwegs funktioniert (oder funktionieren) und nur die Entwicklungen teilweise keinen rechten Sinn ergeben, summieren sich in den Nebenfiguren die größten Schwachpunkte des Drehbuchs. Zunächst einmal, was sollen das für Frauenfiguren sein? In der Zukunft sind alle Frauen rücksichtslos und/oder triebgesteuert? Warum fängt eine atemberaubend attraktive Elitesoldatin, die innerhalb des Mikrokosmos des Raumschiffes sicher zur Elite gehört, eine Beziehung mit einem Loser wie Mickey an? Warum braucht eine weitere dieser Amazonen mehrere Jahre, um das ganz offensichtlich furchtbare Frauenbild ihres erzkonservativen Auftraggebers zu erkennen? Was hat es mit der Besessenheit einer weiteren weiblichen Figur auf sich, aus allem Saucen zu machen? Was soll das alles und worauf will dieser Film überhaupt hinaus?
Und warum muss uns die Hauptfigur den ganzen Film erzählen? Wenn Martin Scorsese seine Gangsterfiguren gelegentlich aus dem Off sprechen lässt, geht das meistens in Ordnung. Aber ein Übermaß an „Voice over“ lässt immer eine gewisse Überforderung oder sogar Hilflosigkeit der Drehbuchautoren erkennen (siehe „The Great Gatsby“ oder die Urfassung von „Blade Runner“). „Mickey 17“ ist streckenweise mehr Hörbuch als Film. Dabei erzählt der Held uns nichts, das wir nicht auch auf der Leinwand sehen könnten. Vielleicht hält Bong Joon-ho sein Publikum für ebenso doof, wie die Figuren seines Drehbuchs?
Die Figuren dieses Films sind nämlich alle strohdumm. Autoren, die Komödien über dumme Hauptfiguren schreiben, machen es sich immer ein bisschen leicht. Intelligente Charaktere in witzige Situationen geraten zu lassen, ist wahre Kunst. Deshalb sind die Hauptfiguren in Drehbüchern von Neil Simon und Billy Wilder auch in der Regel viel intelligentere Menschen als etwa in Drehbüchern der Farrelly- oder Wayans-Brüder. Und selbst in deren Filmen sind nicht auch alle Nebenfiguren ebenso dumm. Nun, in „Mickey 17“ ist einfach jede Figur lächerlich dumm. Man stelle sich bitte einen Moment lang „Dumm und Dümmer“ vor, nur dass eben jede Figur, der die beiden Hauptfiguren begegnen, ebenso dämlich ist wie diese beiden. Sowas ist doch anstrengend und beleidigt die Intelligenz des Publikums.
Die Figur des konservativen Politikers und Geschäftsmannes ist ohnehin einer der unbeholfensten unter den vielen plumpen Versuchen ein offensichtliches Vorbild zu parodieren, die wir in den letzten acht Jahren gezeigt bekommen haben. Aber gerade bei dieser Figur hat es sich nicht nur Drehbuchautor Bong Joon-ho viel zu einfach gemacht, sondern auch der Darsteller. Mark Ruffalo hat in anspruchsvollen Filmen wie „Vergiss mein nicht“, „Foxcatcher“ oder „Spotlight“ immer wieder vielschichtige und feine Leistungen gezeigt. Hier ist davon nichts zu erkennen. Seine Leistung in „Mickey 17“ ist weniger eine Darstellung als eine Clown-Nummer.
Ganz anders sieht es bei der großartigen Toni Collette aus. Sie stiehlt nicht einfach nur nach „Knives Out“ und „Nightmare Alley“ wieder in einer vergleichsweise kleinen Nebenrolle jede einzelne ihrer Szenen. Sie verdeutlicht auch den Unterschied zwischen guten und hervorragenden Schauspieler*innen: hervorragende Schauspieler*innen können über schwache Drehbücher und/oder ungeschickte Inszenierungen hinaus spielen.
Ob die Britin Naomi Ackie eine gute Schauspielerin ist, ließ sich weder in „Star Wars – Episode IX: Der Herr Kaiser ist wieder da“ noch in „Blink Twice“ feststellen. Auch hier gelingt es ihr wieder nicht, über das schwache Drehbuch und vor allem über ihre ausgesprochen dumm geschriebene Figur hinaus zu spielen.
Zu den wenigen Teilen des Films, die sehr gut funktionieren, gehört die Leistung von Robert Pattinson. Der hat sich seit seinen Zeiten als Glitzervampir stetig weiterentwickelt und konnte in anspruchsvollen, ungewöhnlichen Filmen wie „Der Leuchtturm“ und „Tenet“ überzeugen. Ihm gelingt nicht bloß das Kunststück, über das dumme Drehbuch hinaus oder sogar hinweg zu spielen. Eine dumme Person intelligent darzustellen, ist schon schwer. Eine dumme Person, nach einem dummen Drehbuch intelligent darzustellen, ist eine ganz hervorragende Leistung. Pattinsons Darstellung verschiedener Mickeys bleibt immer menschlich, für uns stets nachvollziehbar und ist das Beste am ganzen Film.