Vor einiger Zeit meinte Martin Scorsese, Marvel-Filme wären kein Kino. Was mag der Regie-Altmeister dann erst über „Downton Abbey II: Eine neue Ära“ zu sagen haben?
The British are coming Downton
Abbey soll als Filmkulisse dienen. Die Countess of Grantham erbt von einem alten Verehrer eine Villa in Südfrankreich. Um dem Filmteam zu entkommen und das Erbe zu besichtigen, reist der Earl mit seiner Frau und gut der Hälfte der Familie dorthin, wo es weitere Verwicklungen geben wird, die aber rechtzeitig zum Ende des Films geklärt sein werden. Ein Dienerpaar hat auch irgendwelche Sorgen. Weil der Darsteller ihres Mannes diesmal gar keinen Bock hatte, erlebt Mary Talbot beinahe eine Art Abenteuer mit einem Regisseur. Butler Barrow begibt sich tatsächlich auf ein Abenteuer. Und die Countess wird auch nicht jünger …
Martin Scorsese sprach den Marvel-Filmen aus zwei Gründen ab, Kunst und damit Kino zu sein. Zum einen wäre da der kommerzielle Aspekt. Der Regisseur meinte, Marvel-Filme stünden Vergnügungsparks näher als dem was er für echte Filme hält. Sein zweites Argument war, Marvel-Filme würden nichts Neues oder Unerwartetes bieten. Wir wollen mal nicht darauf eingehen, dass Scorsese selbst sicher keinerlei kommerzielle Motive hatte, als er zuletzt für Netflix „The Irishman“ drehte und wie neu und überraschend es war, von diesem Filmemacher ausgerechnet einen Gangsterfilm und ausgerechnet mit Robert De Niro in der Hauptrolle zu sehen.
Nachdem ich „Downton Abbey II: Eine neue Ära“ gesehen habe, kann ich bloß hoffen, irgendjemand sorgt dafür, dass Altmeister Scorsese diesen Film nie zu sehen bekommt. Der Mann ist mittlerweile bald Achtzig Jahre alt und würde das nicht überleben. Am besten wäre, wenn man ihm die Existenz dieses Films vorenthalten könnte. Denn „Downton Abbey II: Eine neue Ära“ ist nichts anderes, als ein teures Trostpflaster für Leute, die Mühe haben zu akzeptieren, dass sechs Staffeln wirklich genug für jede Fernsehserie sind.
Ich will Marvel-Filme gar nicht gegen Scorseses lächerliche Abwertung verteidigen. Aber selbst jemand, der nicht mit dem MCU vertraut ist, kann sich jeden beliebigen Marvel-Film ansehen und sich durchaus unterhalten lassen. An „Downton Abbey II: Eine neue Ära“ gibt es rein gar nichts, das für Leute unterhaltsam oder auch nur von Interesse sein könnte, die nicht alle sechs Staffeln der Serie gesehen haben. Dieser Film versucht gar nicht erst, Kinofans anzusprechen die nicht bereits Fans der Serie sind.
Der Film beginnt mit einem Drohnenflug über das Anwesen zu einer Kirche, der dann in einer Kamerafahrt durch die Kirche während einer Trauung übergeht. Wir sehen das Brautpaar von hinten und als sie sich umdrehen soll das beim Publikum wohl irgendeine Reaktion hervorrufen. So weit so offensichtlich. Bloß welche Reaktion sollte das sein? Für mich haben sich da zwei mir Fremde zur Kamera gedreht. Wie sollte ich in meinem Kinosessel darauf reagieren? Überrascht? Fassungslos? Erleichtert? Woher sollte ich das wissen?
Wie unerlässlich nicht nur genaue Kenntnisse der Crawley’schen Familiengeschichte sondern aufrichtige Verehrung für die Rezeption dieses Films sind, war während der Pressevorführung bald deutlich zu hören. Ich weiß nicht erst seit meiner Rezension des ersten Films „Downton Abbey“, wie witzig die bissigen Bemerkungen der greisen Countess of Grantham angeblich sein sollen. Jeder Fan der Serie schwärmt davon. Aber leider sind nicht annährend alle der Dialogzeilen, die Stammdrehbuchautor Julian Fellowes der Matriarchin in den Mund legt, tatsächlich lustig. Bei mehr als der Hälfte der entsprechenden Stellen hörte man nur einige wenige Leute im Kinosaal lachen. Die lachten dafür umso herzhafter. Es war also nicht weiter schwierig, herauszufinden, wo die echten Fans saßen.
Aber nicht nur die Dialoge, sondern die ganze Handlung war wirklich nur für echte Fans der Serie gedacht. Das Nicht-Abenteuer der ältesten Tochter, die Zweifel des Familienvorstands an seiner Legitimität, die Wohnprobleme eines jungen Paares, … alles war vorhersehbar, alles löste sich in Wohlgefallen auf und nichts davon war halbwegs neu, unerwartet oder auch nur spannend oder interessant.
Es ist schon witzig, wie unterschiedlich verschiedene Filmstudios mit ihren Franchises umgehen. Während Disney sich nicht entschließen kann, einen weiteren „Star Wars“-Film zu produzieren und uns stattdessen mehrere Fernsehserien pro Jahr liefert, produzieren die Universal Studios einen Film, der doch viel besser als drei oder vier Folgen einer Fernsehserie funktioniert hätte. Vielleicht sollten sich die Controller von Disney und Universal mal austauschen.
Scorsese hat den Marvel-Filmen wenigstens zugestanden, von Menschen mit Talent und Kunstverstand gemacht worden zu sein. Über Simon Curtis („Die Frau in Gold“), den Regisseur von „Downton Abbey II: Eine neue Ära“ meinte ich anlässlich meiner Rezension zu seinem letzten Film „Enzo und die wundersame Welt der Menschen“, er sei weder ein brillanter Geschichtenerzähler noch ein visionärer Filmkünstler. Und auch in seinem neuen Film ist nichts zu sehen, das mich mein Urteil überdenken ließe. Alles ist nett anzusehen, alles wirkt gefällig, nichts ist wirklich misslungen. Interessant ist praktisch nichts.
That’s all over for me
Ich habe mich eben gewundert, warum man nicht einfach die Serie weiterlaufen lässt, statt uns noch einen Kinofilm zu liefern, der vielleicht nicht wirklich einer ist. An der Auslastung der Schauspieler kann es ja wohl kaum liegen. Dame Maggie Smith (Professor McGonagall aus dieser Filmserie über ein schlecht zu erreichendes Internat) ist mit knapp 89 noch immer gut im Geschäft. Aber von ihr abgesehen ist doch sicher kein Mitglied der Stammbesetzung anderswo unabkömmlich.
Hugh Bonneville ist ein kompetenter Darsteller, dem einfach das gewisse Etwas fehlt. Klar, er bekommt vermutlich jedes Drehbuch vorgelegt, das Colin Firth nicht lesen wollte. Aber so viele Teile von „Paddington“ werden ja nun auch nicht gedreht, dass er nicht noch Zeit für ein paar weitere Staffeln der Serie hätte.
Michele Dockery war mal eine Flugbegleiterin in „Non-Stop“, einem von vielen letzten Action-Filmen mit Liam Neeson. Elizabeth McGovern hat in ihrem besten Film vor fast vierzig Jahren mitgewirkt („Es war einmal in Amerika“) und in ihrem zweitbesten vor dreißig Jahren („Tante Julia und ihre Liebhaber“).
Zusätzlich zur Stammbesetzung sind in diesem Film Hugh Dancy („Hannibal“), Laura Haddock („Transformers 5“) und Dominic West („The Wire“) zu sehen. Sie alle machen keinen schlechten Job. Aber echten Eindruck hinterlässt nur West.
Fazit
Scorsese irrt. Jeder Film, der im Kino läuft, ist auch Kino. Aber für Kinofans, die nicht auch Fans der Serie sind, gibt es keinen Grund, eine Karte für „Downton Abbey II: Eine neue Ära“ zu kaufen.