In mehreren Szenen gegen Ende von „Shattered“ (den ebenso überflüssigen wie lächerlichen deutschen Zusatztitel „Gefährliche Affäre“ wollen wir für den Rest der Rezension ignorieren) ist im Bildhintergrund immer wieder eine übergroße Digitaluhr mit Sekundenanzeige zu sehen. Diese Uhr ist fast einen Quadratmeter groß, nimmt eine halbe Wand ein und daher in verschiedenen Szenen immer wieder hinter oder über den dialogsprechenden Darstellern gut zu sehen. Die Uhr trägt nichts zur Handlung bei. In keiner dieser Szenen ist es erforderlich, die genaue Zeit zu kennen.
Diese Digitaluhr immer wieder ohne Notwendigkeit im Bildhintergrund zu zeigen, ist sicher einer der dümmsten Regie-Einfälle der Filmgeschichte. Eine normale, analoge Uhr kann man manuell von Einstellung zu Einstellung einstellen und wenn so eine Uhr keinen Sekundenzeiger hat, ist das Verstreichen kurzer Zeiträume nicht erkennbar. Aber eine Digitaluhr mit Sekundenanzeige muss zwangsläufig zu Anschlussfehlern führen. Man sieht die Uhr in einer Einstellung. Es folgt ein Schnitt und man sieht die andere Seite des Raumes. Schnitt zurück und natürlich entsprechen die verstrichenen Sekunden nicht exakt den Sekunden, die tatsächlich verstrichen sind.
Es bräuchte hier die wahnhafte Akribie eines Stanley Kubrick. Denn der Aufwand, um die beschriebenen Anschlussfehler zu vermeiden, wäre enorm. Also warum, oh warum nur, kommt ein absolut mittelmäßiger Regisseur wie Luis Prieto auf die strohdumme Idee, diese Uhr in mehreren Sequenzen seines Films zu zeigen, wenn sie für die Handlung doch komplett irrelevant ist? Diese haarsträubend dumme Entscheidung ist beispielhaft für den ganzen Film, mit dem sich nicht nur Regisseur Prieto komplett übernommen hat.
Vermutlich hält niemand Erotik-Thriller für besonders anspruchsvoll. Aber wenn man kurz darüber nachdenkt, ist es sicher eines der schwierigsten Genres überhaupt. Die Handlungen sind immer komplett unrealistisch. Wäre die Handlung realistisch würde die lächerlich attraktive Frau sich erst einige Male zum Essen ausführen lassen, bevor der Held mit ihr den ersten mittelmäßigen Geschlechtsverkehr haben kann. Im Zuge dieser sich langsam anbahnenden Bekanntschaft würde der Held einige Gespräche mit der femme fatale führen und feststellen, dass ihre Geschichten keinen Sinn ergeben oder sie eines der Mordopfer zu gut gekannt hat oder was auch immer.
Daher müssen Erotik-Thriller hervorragend inszeniert sein und mit Spannung und Atmosphäre von den Handlungslöchern ablenken, um nur halbwegs zu funktionieren. Paul Verhoeven hat „Basic Instinct“ auf dem Höhepunkt seines Könnens inszeniert und der Film funktioniert mehr schlecht als recht. Luis Prieto hat bisher vor allem fürs Fernsehen gearbeitet. Sein einziger US-Spielfilm „Kidnap“ mit Halle Berry hat nicht einmal einen wikipedia-Eintrag. Er ist kein hervorragender Regisseur. Er ist nicht einmal ein passabler Regisseur. Und er zeigt nicht nur in den Szenen mit der Digitaluhr, dass er seine eigenen Grenzen nicht kennt.
Szenen folgen aufeinander, ohne jemals eine Stimmung aufzubauen. Wie sehen nackte Körper, aber nichts wirkt erotisch. Die sexy Geliebte wird plötzlich zur Kidnapperin, ohne dass der Mann vorher eine Bedrohung wahrgenommen hätte. Dem Helden kommen nach einer halben Stunde zum ersten Mal Zweifel und da wird ihm auch schon erklärt, dass statt Geschlechtsverkehr nun Erpressung auf dem Programm steht. Figuren kämpfen miteinander, aber keiner dieser Kämpfe wirkt spannend oder auch nur interessant. Alles in diesem Film passiert einfach nur. Nichts baut sich auf. Nichts vermittelt etwas anderes als das was eben gerade zu sehen ist.
I love the dark
Erotik-Thriller müssen auch hervorragend geschrieben sein, um über die erwähnten Löcher ihrer Handlungen hinwegzutäuschen. Joe Eszterhas, der Autor von „Basic Instinct“ war ein Meister seines Fachs. Niemand konnte wie er lächerlich unlogische Drehbücher schreiben, die dann irgendwie trotzdem funktionierten. David Loughery bekanntestes Drehbuch ist vermutlich „Passagier 57“. In dieser schlechtesten der vielen „Stirb Langsam“-Kopien der Neunzigerjahre, muss der Held während einer Flugzeugentführung das Flugzeug verlassen und auf einem Riesenrad kämpfen um dann wieder ins Flugzeug zurückzukehren, weil Loughery nicht genug spannende Szenen an Bord eines Flugzeugs einfallen wollten.
In Lougherys „Shattered“ wird dem Helden während eines Überfalls das Bein gebrochen. Aber nur weil es für die Handlung nötig war. Der Held beschäftigt sich keine Sekunde mit dem Trauma und den Konsequenzen oder damit, wie es zu dem Vorfall gekommen war. Ein Fingerabdurckscanner funktioniert erst dreimal nicht und dann doch. Warum, wissen wir nicht. Nach einem Unfall kommt es zu einem zufälligen Zusammentreffen, das gleichzeitig komplett unwahrscheinlich und absolut vorhersehbar war. An einer Stelle beginnt jemand einen Satz mit „It’s just ...“ um dann eine Pause zu machen. Der andere fragt, „What?“ und die Antwort lautet: „Nothing“ und das war es dann auch wieder.
I had a really shitty day
Aber nicht nur der Regisseur und der Drehbuchautor haben sich übernommen. Auch der größte Teil der Besetzung ist überfordert. Kein Wunder, gerade für Darsteller*innen ist die potentielle Fallhöhe in Erotik-Thrillern enorm. „Sharon Stone“ wirkte fantastisch in „Basic Instinct“ aber bloß ein Jahr später peinlich in „Sliver“. Es reicht nicht, wenn die Darsteller*innen nur schön anzusehen sind, sie müssen auch sehr gute Schauspieler*innen sein und sich Mühe geben. Das wissen wir spätestens seit „Color of Night“ mit Jane March und Bruce Willis.
Lilly Krug ist eine bildhübsche junge Dame. Da ich Serien wie „Hubert ohne Staller“ oder „Der Lehrer“ nicht verfolge, habe ich sie bisher nicht als Schauspielerin wahrgenommen. Während der ersten halben Stunde von „Shattered“ fragte ich mich immer wieder, ob Lilly Krug dämlich spielt oder einfach nur dämlich spielt? Soll heißen, stellt sie eine Figur dar, die vorgibt dämlich zu sein oder ist die Art wie Lilly Krug diese Figur spielt einfach nur dämlich?
Vielleicht ist es nicht ihre Schuld, wenn sie in sexy Szenen nicht erotisch wirkt und in gewalttätigen Szenen nicht bedrohlich. Gerade junge, unerfahrene Talente brauchen kompetente Regisseure, die mit ihnen arbeiten und sie anleiten. Zu sagen, die junge Frau Krug hätte in Nacktszenen keine erotische Ausstrahlung trifft es nicht ganz. Man hat das Gefühl, sie weiß nicht wirklich, was sie tut und worum es geht und möchte sie bitten sich doch wieder anzuziehen. In den Gewaltszenen fragt man sich, warum niemand dem Kind das Hackebeil und den Revolver wegnimmt? Das ist doch alles gefährlich.
Wenn man in einem Film eine femme fatale braucht, dann sollte man auch eine Frau besetzen und kein Mädchen. Deshalb heißt es ja auch „femme fatale“ und nicht „fille fatale“. Übrigens, wegen der nächsten Zeilen habe ich mit mir gehadert. Ich will nämlich gar nicht immer von Eva Green schreiben. Aber, … naja, … der Film hätte einfach eine junge Eva Green gebraucht. Oder Rebecca Ferguson. Vor 25 Jahren wäre auch Carla Gugino toll gewesen. Oder Connie Nielsen. Und natürlich Charlize Theron. Aber am besten wäre eben Eva Green gewesen.
Zurück zur tatsächlichen Besetzung: Wie praktisch jeder US-Schauspieler der letzten Jahrzehnte ist auch Cameron Monaghan ein ehemaliger Kinderschaupieler. Er hat unter anderem in zwei Verfilmungen von „Die drei ???“ mitgespielt. Und es wirkt, als wäre er in diesen Projekten besser aufgehoben gewesen. Monaghan sieht aus wie ein Vierzehnjähriger und agiert wie ein sehr dummer Vierzehnjähriger. Als Tech-Millionär wirkt er ungefähr so glaubhaft wie die junge Lilly Krug als femme fatale.
Aber neben den beiden überforderten jungen Menschen sehen wir in „Shattered“ auch zwei echte Profis. Da ist zunächst einmal Frank Grillo („The Purge: Anarchy“). Der stets verlässliche Grillo erinnert in seiner schmierigen Bedrohlichkeit an den verstorbenen Ray Liotta oder einen jüngeren Mickey Rourke.
Der große John Malkovich wirkt als hätte er sich aus einem sehr viel besseren Film verlaufen und einfach das Beste daraus gemacht. Schon einmal habe ich über „scene stealer“ geschrieben, über Darsteller, die selbst in kleinsten Nebenrollen so großartig sind, dass sie den Hauptdarstellern ihre gemeinsamen Szenen „stehlen“. John Malkovich klaut fast den ganzen Film. Für das Publikum ist das so großartig anzusehen, man möchte ihm noch helfen die Beute zu tragen. Wäre Regisseur Luis Prieto nicht komplett überfordert gewesen, hätte er das bemerkt und zusätzliche Szenen mit Malkovich gedreht. Das hätte den Film nicht gerettet, aber enorm aufgewertet.