Die Autoren und der Regisseur von „Rich Flu“ sind ebenfalls Profis. Sie sorgen dafür, dass ihr Film funktioniert. Über die Seuche erfahren wir zunächst aus dem Fernsehen und dem Internet. Aber wo es in anderen Filmen schnell nervt, wenn immer die passenden Nachrichten im passenden Moment am Bildschirm zu sehen sind, ergibt das hier Sinn. Diese Protagonisten sind ständig online. In ihren Lobbys und Büros laufen ständig auf Nachrichtensender eingestellte Fernseher im Hintergrund. Diese und viele andere Ideen der Filmemacher funktionieren. Sie funktionieren sogar sehr gut.
Der Preis einer Sache ist die Menge an Leben, die man dafür eintauscht
Manche Ideen funktionieren so gut, man wünscht, der Film würde sich mehr Zeit für sie nehmen. Die Frage, „Was wäre, wenn Geld plötzlich nicht nur keinen Wert mehr hätte, sondern tatsächlich nur noch belastend wäre?“ hätte nähere Betrachtung verdient. Eine Szene in der Laura versucht, ihren loyalen Assistenten hereinzulegen, ist gut geschrieben und effizient inszeniert. Aber es ist schade, nicht mehr von einer Welt zu sehen zu bekommen, in der Menschen plötzlich vor Reichtum zurückschrecken und Geld aktiv meiden. In einer Zeit, in der allzu viele Filme unnötig lang und damit langweilig sind, ist „Rich Flu“ in dieser Hinsicht ein wenig zu kurz geraten.
Aber die Macher dieses Films hatten jede Menge Ideen. Einige sind wirklich großartig. Die Massenflucht von Yachten übers Mittelmeer und ein grausamer Scherz der lybischen Küstenwache sind originelle Einfälle, die von Gaztelu-Urrutia trotz wohl überschaubaren Budgets hervorragend umgesetzt werden. Die Gewalt unter den Passagieren eines Hubschraubers und die rasche, offene Feindseligkeit in einer Kommune lassen erkennen, wie schnell die Fassade der Zivilisation quer durch das politische und wirtschaftliche Spektrum bröckeln kann.
An einer oder zwei Stellen des Films hatten die Macher vielleicht zu viele Ideen und wollten ein bisschen zu viel. Der Deal, den eine Mutter und Großmutter eingeht, um eine Mittelmeerpassage im Schlauchboot zu „erkaufen“, ist auf dem afrikanischen Kontinent leider längst keine Seltenheit mehr. In diesem Film ergibt er aber in dem Kontext wenig Sinn und gehört zu den wenigen Teilen des Films, die nicht recht funktionieren. Auch kann man irgendwann nicht mehr ignorieren, wie wenig wir über andere Figuren des Films erfahren. Lauras Tochter bleibt während des gesamten Films ein reines Handlungselement.
Aber am Ende überwiegen die Teile des Films, die funktionieren. Ein Film wie dieser kann unmöglich ein Happy End haben. Aber das Ende dieses Films ist nicht nur un-happy, es ist ebenso hoffnungs- wie trostlos. Weil wir die Hauptfigur und mit ihr den Typus Mensch, für den sie steht, während des gesamten Films aber so gut kennengelernt haben, ergibt dieses Ende Sinn. Das Ende ist keine bloße Pointe. Es ist stimmig. Es funktioniert.
Lieber als Geld, als Ruhm, gib mir die Wahrheit!
Zu den vielen Teilen des Films, die funktionieren, gehört vor allem die Besetzung. Timothy Spall ist einer dieser brillanten, britischen Darsteller, die so oft in kleineren Rollen in großen Produktionen einen bleibenden Eindruck hinterlassen (z.B. in der Rolle des langjährigen Haustiers von Ron Weasley in dieser Filmreihe über eine schwer zu erreichende Internatsschule). Hier vermittelt er uns in der kleinen Rolle des Konzernchefs die beiläufige Gefährlichkeit der Superreichen, die gar nicht mehr wahrnehmen können, wie menschenverachtend und bizarr ihr Handeln längst geworden ist. Leider vermittelt sein Sohn Rafe Spall vor allem, dass Charisma nicht vererbbar ist.
Er ist einer dieser Nebendarsteller, die man in jedem Film noch vor dem Abspann vergessen hat. Oder erinnert sich etwa jemand an die Leistungen von Spall Junior in Filmen wie „Prometheus“, „Life of Pi“, „Jurassic World: Das gefallene Königreich“ oder „Men in Black: International“? Na also. Über seine Leistung in diesem Film kann man sagen, sie funktioniert.
Zunächst war ich der Meinung, Regisseur Galder Gaztelu-Urrutia wußte genau, was er tat, als er die großartige Lorraine Bracco („Good Fellas“) für seinen Film besetzt hat. Immerhin lässt er uns zunächst zweimal nur Braccos unverwechselbare Stimme hören (die fast das einzig gute an dem unsäglichen live-action-Remake von „Pinocchio“ war), bevor wir die Darstellerin zum ersten Mal zu sehen bekommen. Aber danach verkommt auch ihre Rolle leider zu einem reinen Handlungselement. Das funktioniert, stellt aber trotzdem eine Verschwendung dar.
Wie auch ihre Figur im Film, müsste Mary Elizabeth Winstead in ihrer Karriere längst viel mehr erreicht haben. Sie leistet seit Jahren großartige Arbeit in schwierigen Filmen wie „10 Cloverfield Lane“ oder „Swiss Army Man“. Und sie hat dafür gesorgt, dass „Kate“ noch der beste der vielen Rache-Action-Reißer mit weiblicher Hauptfigur der letzten Jahre war. Hier stemmt sie die schwierige Aufgabe, eine von vorneherein unsympathische Figur so zu spielen, dass wir uns mit ihr identifizieren können und wir unbedingt erfahren wollen, wie es mit ihr weitergeht. Wie viele echte Karrierefrauen einen großen Teil der Arbeitslast ganzer Abteilungen tragen, trägt Mary Elizabeth Winstead weite Teile dieses Films auf ihren Schultern. Damit lässt sie diesen Film funktionieren.