Am Ende von „Enkel für Anfänger“ hatten die drei Protagonist*innen Entwicklungen durchgemacht und waren an unterschiedlichen Punkten ihrer Wege angekommen. Karin hatte sich nicht für oder gegen einen von zwei Männern sondern für die Erfüllung eines Traums entschieden. Philippa hat durch die Arbeit mit einer fremden Familie Mut geschöpft, sich mit ihrer eigenen Familie auseinanderzusetzen. Und Harald hatte gelernt, dass Trauerarbeit eben auch Arbeit ist und man etwas dafür tun muss.
Am Anfang von „Enkel für Fortgeschrittene“ ist praktisch nichts mehr von all dem da. Ich habe vorhin Beispiele für gelungene Fortsetzungen aufgeführt. Das ewige Musterbeispiel für eine ganz und gar misslungene Fortsetzung ist „Highlander II“. An dem Film ist alles schlecht und nichts gut. Aber die schlimmste Sünde dieser Fortsetzung ist, dass sie dem Vorgänger inhaltlich widerspricht und die Handlung von Teil Eins praktisch ad absurdum führt.
Auch Drehbuchautor Robert Löhr hat es sich viel zu leicht gemacht und einfach den großen „Reset“-Knopf im Leben seiner Figuren gedrückt. Karin kommt drei Wochen früher aus Neuseeland zurück, weil sie Sehnsucht nach Ehemann und Einfamilienhaus hat. Über Neuseeland erfahren wir nur, „so toll war es dort auch nicht“. So viel zum großen Traum aus Teil Eins. Philippa hat im Laufe eines Jahres auch alles vergessen und nervt ihre eigene Tochter und ihren eigenen Schwiegersohn mindestens ebenso wie zuvor die Leihfamilie. Und Gerhard ist plötzlich ein kleinlicher Spießer, der nur im Schülerladen aushilft, um sich am Zeitungsausträger zu rächen.
Das bedeutet Krieg
Was ist mit den interessanten Figuren aus Teil Eins passiert? Und vor allem, was ist mit ihren interessanten Entwicklungen aus Teil Eins passiert? In Teil Zwei könnte Karins Geschichte in drei Minuten ein befriedigendes Ende finden, wenn Karin, die reifste Figur des Vorgängerfilms, nicht anderthalb Stunden lang immer wieder so zickig, eifersüchtig und vor allem unreif reagieren würde. Philippas Geschichte braucht in diesem Film einen Schicksalsschlag, damit sie und ihre Tochter sich annähern können. Und Gerhards Geschichte von würdevoller Trauer aus Teil Eins wird durch die Handlung einer recht dümmlichen Rom-Com ersetzt.
Als Drama funktioniert dieser Film also nicht mal halbwegs so gut wie der Vorgänger. Über den habe ich damals geschrieben „Komödie zu schreiben zählt wohl nicht zu den Stärken von Drehbuchautor Robert Löhr („Kein Bund fürs Leben“). Also bekommen wir immer wieder unoriginelle Komödienklischees geboten“ . Und daran hat sich seit 2020 nun wirklich rein gar nichts geändert. Nach wenigen Minuten haben wir bereits den ersten Witz über eine Darmspiegelung. Dieser Witz ist nicht nur nicht lustig, sondern an der Stelle auch komplett überflüssig. Das Gleiche gilt, wenn Löhr eine der Figuren erklären lässt, was „Pasta Puttanesca“ bedeutet.
Es folgt eine Sequenz, in der jemand in seinem Garten schlafen muss und der Reihe nach unter seiner eigenen Alarmanlage, dem Bewegungsmelder der Beleuchtung und natürlich dem automatischen Rasensprenger zu leiden hat. In einem Film über Senioren darf natürlich ein Scherzchen mit Erwachsenenwindeln nicht fehlen. Über Dialogzeilen wie „Ich habe bei ihr geblasen und sie hat bei mir gesaugt“ mögen Zwölfjährige schmunzeln können. Und es soll wohl auch lustig sein, wenn die Senioren an Jugendsprache, modernen Abkürzungen und Emojies scheitern. Auf den Arzt, der seinen Tablettenschrank aufmacht um eine Party in Schwung zu bringen, kann man dann nur noch mit „WTF“ und „facepalm“ reagieren. Fail!
Noch ein Zitat aus meiner Rezension zum Vorgänger: „Komödie zu inszenieren zählt auch nicht zu den Stärken von Regisseur Wolfgang Groos („Die Vampirschwestern“). Also werden die die mäßig witzigen Scherzchen ohne rechten Sinn für Timing serviert.“ Auch daran hat sich nichts geändert. Darunter leidet nicht nur das Publikum, sondern auch die hervorragende Besetzung.
Der erste Film war ein Triumph für Maren Kroymann. Die großartige Schauspielerin, Kabarettistin und Sängerin hat uns vor drei Jahren eine echte Frau und ihre Gefühle, ihre Wünsche, Sehnsüchte und Ängste vermittelt. Am Ende des Films war diese Frau nochmal gewachsen. Weil in Teil Zwei nichts mehr davon da ist, wirkt die Figur der Karin ständig überfordert und die Darstellerin entsprechend unterfordert.
Barbara Sukowas Figur der Philippa war bereits in Teil Eins komplett „underwritten“. Löhr hat wohl leider auch im Laufe der letzten drei Jahre kein weiteres Interesse an dieser Figur entwickelt. Daher haben wir hier eine Legende des deutschen Films, die keinen echten Charakter sondern nur einen recht klischeehaften Entwurf darstellt. Das tut Sukowa mit vollem Körpereinsatz. Wer hätte gedacht, dass die Dame mit über Siebzig ihre eigenen Stunts macht?
Es ist faszinierend, mit wie viel Stil und mit welcher Haltung Heiner Lauterbach seinen wirklich lächerlichen Handlungsstrang trägt. Lauterbach spielt besser als das Drehbuch es erlaubt. Hilfe bekommt er dabei vom überaus sympathischen Ercan Durmaz („4 Blocks“). Durmaz spielt etwas, das keine Figur, ja nicht einmal eine Rolle ist, sondern ein reines Handlungselement.
Marie Burchard schätze ich seit Detlev Bucks „Wuff“. In „Enkel für Fortgeschrittene“ hinterlässt die sonst so charismatische Darstellerin nicht genug Eindruck, dass ich mir den Namen ihrer Figur gemerkt hätte. Sie spielt „die Tochter“.
Der goldene Verdienstorden des deutschen Filmförderfonds sollte dieses Jahr an den armen Günther Maria Halmer gehen. Er muss sich von Maren Kroymann rumschupsen und von einer weiteren Seniorin fast vergewaltigen lassen. Wenn er dabei immer seine Würde behält, zeigt er damit, dass er seit „Gandhi“ und „Münchner Geschichten“ nichts verlernt hat.