Singer hat auf der Filmhochschule auch nie gelernt, dass man beim Verfassen eines Drehbuchs nicht schalten und walten kann, wie es einem gefällt. Singers Figuren kommen und gehen und greifen in die Handlung ein, wie es dem Autor gerade in den Kram passt, nicht wie es vielleicht Sinn ergeben würde. Schwere Schuss-, Stich und andere Verletzungen haben mal gravierende und dann wieder praktisch keine Auswirkungen auf die Mobilität der Figuren. Und mehr als eine Figur in Singers Film beherrscht die Kunst der Teleportation und taucht plötzlich auf, wo sie anders nie so schnell hingekommen wäre.
Als Regisseur trifft Singer einige interessante Entscheidungen, die er aber wohl nur selten zu Ende gedacht hat. Obwohl unter anderem die Verwendungen von Smartphones den Film in der Gegenwart spielen lässt, wirkt die Ausstattung des Hotels und des Krankenhauses komplett altmodisch. An der Rezeption gibt es keinen Computer und die Anmeldung der Gäste wird handschriftlich erledigt. Niemand, nicht einmal Gretchens Vater fährt ein Auto das nach 1986 gebaut wurde und im Krankenzimmer steht ein winziger Röhrenfernseher.
All diese altmodische Ausstattung wirkt zunächst stimmig, weil sie den Eindruck der jungen Frau aus den USA wiedergibt, in einer fremden und furchtbar altmodischen Gegend angekommen zu sein, in der sie sich nicht zurechtfinden kann. Aber warum hat dann die Mutter des Teenagers zuvor bereits in den Staaten einen Anrufbeantworter benutzt, der so antiquiert aussieht, dass man sich fragt, ob sie ihn gebraucht von Jim Rockford gekauft hat (das war mein Witz für die älteren unter unseren Leser*innen. Gern geschehen).
Und warum tauchen in diesem Film sämtliche Nebenfiguren immer so furchtbar überraschend hinter oder neben der armen Heldin auf, das sie gar nicht anders kann, als ständig zu erschrecken? Selbst Figuren die sicher gar nichts mit dem Bösen zu tun haben, das da in den bayerischen Alpen sein Unwesen treibt? Das ist sicher belastend für die unbedarfte und verwirrte Hauptfigur des Films. Das Publikum wird davon aber sicher nicht erschrecken, sondern bloß bald genervt sein. Auch ein mehrmals eingesetzter Effekt, bei dem sich Geschehen innerhalb weniger Sekunden öfter wiederholt, wirkt nicht bedrohlich, sondern eher wie ein recht lahmes TikTok-Video (und das war der Witz für die Generation Z. Bei cinepreview.de ist eben immer für alle demografischen Gruppen etwas dabei).
Konzentration bitte!
In diesem Durcheinander aus Drehbuchwillkür und unausgereifter, schlecht durchdachter Regie schlagen sich die Darsteller unterschiedlich gut. Marton Csokas hat sich bereits in „Der Herr der Ringe“ an der Seite der großartigen Cate Blanchett bewähren können. Und seine bedrohliche Präsenz war das Beste an der überlangen Gewaltorgie „The Equalizer“. Hier kann er als Vater leider keinerlei Wirkung entfalten. Jessica Henwick („Love and Monsters“) gestaltet die generische Rolle der verständnislosen, doofen Stiefmutter leider eben auch bloß generisch. Der Deutsche Jan Bluthardt spielt eine Rolle, die wir in Tausenden von Filmen schon gesehen haben. Und in den meisten dieser Filme war sie besser dargestellt.
Dan Stevens kennen wir aus „Downton Abbey“, aber auch aus Filmen wie „Ruf der Wildnis“ oder zuletzt „Godzilla × Kong: The New Empire“. Stevens ist ein Vollprofi und hat als solcher offensichtlich früh erkannt, was sein Drehbuchautor und Regisseur nicht erkannt hat und genau die richtige Entscheidung getroffen. Er spielt Herrn König als lächerliche Mischung aus Bond-Bösewicht und Mad Scientist weil diese Figur genau das und nichts anderes ist.
Wenn „Cuckoo“ doch noch halbwegs sehenswert ist, dann hauptsächlich wegen der Leistung von Hunter Schafer. Nachdem ich die Fernsehserie „Euphoria“ nur vom Hörensagen kenne und nicht ich, sondern einer meiner begabten Kollegen über „Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds & Snakes“ berichtet hat, habe ich diese begabte junge Darstellerin hier zum ersten Mal wahrgenommen.
Schafer vermittelt uns nicht nur den Unwillen einer jungen Frau, sich in die Pläne anderer zu fügen, nicht nur ihre Verwirrung, ihre Trauer und ihre Angst. Wenn Gretchen im Laufe des Films zur Kämpferin wird und Verantwortung übernimmt, lässt Hunter Schafer uns jeden Schritt dieser Entwicklung nachfühlen. Eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, dass die meisten Teile des Films um sie herum nicht richtig funktionieren. Man wünscht ihr recht bald eine besser geschriebene Hauptrolle unter besserer Regie.