Jordan Scott, Tochter von Regielegende Ridley Scott, legt ihren zweiten Spielfilm vor - und landet mit „Berlin Nobody“ auf der Nase. Was spannendes Thriller-Kino am Puls der Zeit sein möchte, entpuppt sich als lieblos zusammengebastelte Stangenware.
Ohne Gruppe bist du nichts!
Unsichere Zeiten wecken das Bedürfnis nach einer klaren Linie, nach einem Allheilmittel und sind der perfekte Nährboden für dubiose Welterklärer. Populisten, die einfache Antworten auf komplexe Fragen geben, mit Patentrezepten werben, erfahren seit einigen Jahren erstaunlichen Zulauf. Besonders die Corona-Pandemie hat zahlreiche falsche Propheten aus den Löchern kriechen lassen, denen jedes Mittel recht ist, um möglichst viele Menschen mit ihren „Lehren“, ihrem angeblichen Wissen zu infizieren.
Da unsere Gesellschaft immer mehr zersplittert, sich manche Gruppen komplett isolieren, ist es wichtig und sinnvoll, in einem Film auf die Gefahren der Verführung, des Abdriftens hinzuweisen. Allerdings sollte es dann bitte schön nicht so plump geschehen wie in „Berlin Nobody“, Jordan Scotts Verfilmung von Nicholas Hoggs Roman „Tokyo“, den die Tochter des Regiealtmeisters in die deutsche Hauptstadt verlegt.
Eric Bana forscht dort als US-amerikanischer Sozialpsychologe Ben Monroe für ein neues Buch, das sich mit dem Thema „Gruppendenken“ befasst. Über einen befreundeten Polizisten (Stephan Kampwirth) und die Verfassungsschutzbeamtin Nina (Sylvia Hoeks) gelangt er an den Schauplatz eines Massenselbstmords, der offenbar mit einer Ökogemeinschaft unter Führung einer gewissen Hilma (Sophie Rois) in Verbindung steht. Die Vereinigung strebt danach, den Konsum einzudämmen, unseren Planeten zu einem besseren Ort zu machen, und setzt dafür auf ein radikales Wir-Gefühl. Glück kann der Mensch nur mit mehreren empfinden, nicht allein, heißt es gebetsmühlenartig.
Das Individuum zählt nichts, die Gruppe ist alles. Klingt komisch? Ist es natürlich auch. Von Anfang an steht außer Frage, dass wir es hier mit einer wachechten Weltuntergangssekte zu tun haben. Dummerweise läuft ausgerechnet Bens nach Berlin kommende Tochter Mazzy (Sadie Sink) Hilma-Anhänger Martin (klischeehaft auf schluffig getrimmt: Jonas Dassler) in die Arme und lässt sich von ihm in den obskuren Kreis einführen. Startschuss für einen Mix aus Thriller und Drama, der weder besonders spannend noch ausgesprochen bewegend ausfällt.
Überraschungen verzweifelt gesucht
Ein gravierendes Problem des Films ist seine Vorhersehbarkeit. Hilma und ihre Truppe sind, wie erwähnt, gleich als gefährlich und fehlgeleitet zu identifizieren. Und natürlich weicht „Berlin Nobody“ nicht von den üblichen Pfaden einer Sektengeschichte ab. Der Irrsinn bricht sich ab einem gewissen Punkt deutlich Bahn, wobei wallende weiße Gewänder nicht fehlen dürfen. Sobald wir von einem Trauma aus Bens Vergangenheit erfahren, ist außerdem klar, dass er nun noch einmal die Chance bekommen wird, seinen damaligen Fehler wiedergutzumachen. Weil Jordan Scott den Wettlauf gegen die Zeit im letzten Drittel jedoch ruckelig konstruiert, will kein richtiger Drive entstehen. Apropos Finale: Eine als Twist verkaufte Offenbarung riecht man Kilometer gegen den Wind. Viel zu deutlich äußert sich die betreffende Figur in eine bestimmte Richtung.
Statt die Dynamik innerhalb der seltsamen Gemeinschaft genauer zu beleuchten, ihre Zusammensetzung zu beschreiben, zieht sich das Drehbuch auf Allgemeinplätze und platte Schlagworte zurück, die man so oder ähnlich schon in zig anderen Sektenfilmen gesehen hat. Ernsthaft interessiert ist „Berlin Nobody“ also nicht an der Frage, warum sich manche Menschen in aufgewühlten Zeiten wie diesen derartigen Gruppierungen zuwenden. Erschwerend kommt hinzu, dass Hilma nur halb so charismatisch wirkt wie beabsichtigt. In der Originalfassung erscheinen viele der englischen Passagen von Sophie Rois gestelzt, irgendwie aufgesagt. Generell gibt es kein Feuerwerk der Schauspielkunst zu bestaunen. Eric Bana agiert mitunter zu wenig dringlich, um uns wirklich für den Protagonisten und seine Nöte einzunehmen.
In Naturszenen gelingt es der Regisseurin über die Musik, das Sounddesign und Zeitlupenbilder teilweise, eine flirrende Atmosphäre aufzubauen. Besonders viele herausstechende Ideen darf man allerdings nicht erwarten. Gegen Ende überschreitet der Film vielmehr zunehmend die Grenze zur unfreiwilligen Komik. Da, wo es erst recht packend werden soll, verspürt man ein ums andere Mal den Drang, zu lachen.
Fazit
„Berlin Nobody“ beginnt gar nicht mal so schlecht, verliert sich dann aber in Sektenplattitüden, vorhersehbaren Wendungen, mittelprächtigem Schauspiel und einem abstrusen Showdown.